: "Die Denkenergien des Kapitalismus"
■ Aufklärung in der Bilderflut: Am 1. Mai 1926 wurde in Hamburg die "Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg" gegründet. Ein Gespräch mit dem Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke über den Universalg
taz: Herr Warnke, die Restauration der „Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“ ist ein sichtbares Zeichen für die stetig wachsende Anerkennung ihres Gründers Aby Warburg. Worin sehen Sie die Gründe der auch international sich abzeichnenden Warburg-Renaissance?
Martin Warnke: Warburg als Hamburgensie hat es immer gegeben, selbst im Dritten Reich hat eine gewisse Achtung nie aufgehört. Daß sich diese Renaissance international verbreiten konnte, liegt auch daran, daß die emigrierte Bibliothek in London zu den besten geisteswissenschaftlichen Bibliotheken der Welt zählt und Ernst Gombrich Direktor dort war. Er hat 1970 eine „intellektuelle Biografie“ Aby Warburgs geschrieben, die in alle Sprachen übersetzt wurde. Ohne dieses Buch wäre all das nicht in Gang gekommen. Zudem traf diese Biografie auf eine Wende in der geistesgeschichtlichen Interessenlage von der Gesellschaft hin zur Kultur.
Ein positiver Nebeneffekt ist dabei sicher die geplante Herausgabe Warburgs gesammelter Schriften, an der Sie beteiligt sind. Was wird sich damit am bisherigen Warburg-Bild ändern?
Wir werden über die Gesamtausgabe sehr viel mehr aus dem Alltag von Warburg erfahren, über den Organisator dieser Bibliothek etwa oder seine unglaublich reiche Briefschaft, die in Londen jetzt erst aufgearbeitet wird. Auch eine Edition der Bibliothekstagebücher ist geplant: Warburg hat mit seinen Mitarbeitern Fritz Saxl und Gertrud Bing fast jeden Tag notiert, wer diese Bibliothek besucht hat, welche Bücher man umstellen könnte, Urteile über diesen und jenen – sehr viel aus dem Leben dieser Bibliothek und ihres intellektuellen Klimas. In Gombrichs Biografie sieht es fast so aus, als sei Warburg ständig in Trance gewesen und hätte nur an seine Psyche gedacht oder an Kukturtheorien mit Hilfe aller möglichen anderen Theorien gebastelt – aber er hat eine enorme Arbeitsleistung bewältigt. Diese Pragmatik wird seinem Bild guttun.
Gleichwohl fällt auf, daß es zwar eine Warburg-Renaissance gibt, aber keine „Schule“, die Warburg selbst gebildet hat. Liegt das an seiner Person oder an fehlenden Schriften?
Ja, man spricht vom Warburg- Kreis, nicht von der Warburg- Schule. Das liegt sicher daran, daß er nicht gelehrt hat. Er war zwar Professor und hat auch Seminare an der Universität Hamburg gegeben, aber er hatte als Privatgelehrter keine Schülerschaft. Trotzdem ist er auch kein Solitär gewesen, und es gab doch immerhin eine gewisse Substanz, die ausstrahlen konnte. Offenbar war in dieser Bibliothek etwas enthalten, das tragfähig war – zumal durch den besonderen Umstand, daß sich die Emigranten alle um die Bibliothek gruppieren konnten.
Sie sprechen damit den jüdischen Hintergrund an. Wie wirkte sich dieser konkret bei Warburg aus, vor allem wenn man an die Bibliotheks- und Forschungsprojekte denkt?
Es ist sicher auffällig, daß hier in dem Haus fast ausschließlich jüdische Gelehrte gearbeitet haben. Das kann man nun so verstehen, als hätten die Juden sich gegenseitig protegiert, was man ihnen auch immer vorwirft. Es ist doch offensichtlich so, daß die Juden an den Universitäten keinerlei Chancen hatten, wie gut sie auch immer waren. Das war sicher ein Motiv zu zeigen, wie Warburg selbst sagte, daß der Kapitalismus auch Denkenergien entwickeln kann, gerade aufgrund „jüdischen Kapitals“ – ähnlich dem Frankfurter Institut für Sozialforschung.
Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, ich rede aber jetzt hypothetisch, für Abys jüngeren Bruder Max, der die ganze Bibliothek finanzierte und meinte: „Wir stehen in der Schußlinie des Antisemitismus. Und wenn wir jetzt eine der Universität nützliche, auch der Öffentlichkeit zugängliche Bibliothek aufbauen, dann können wir den Antisemiten etwas Wind aus den Segeln nehmen.“ Ich hatte immer den Verdacht, daß diese Drucksituation sich auch thematisch ausgewirkt hat. Wir haben diese merkwürdige Erscheinung, daß mit Ernst Cassirers Einstieg in die Warburg-Bibliothek das Interesse am Neoplatonismus deutlich dominant wird und sich geradezu universal entfaltet zu einem Erklärungsschlüssel der Renaissance. Dies ist eine Entpolitisierung der Renaissance. Warburg selbst hat damit überhaupt nie etwas zu tun gehabt, er war sehr politisch.
Sie heben damit auf den politisch-aufklärerischen Aspekt ab. Gibt es nicht strenggenommen auch einen ethischen Anspruch bei Warburg?
Ja, das sicher, in einem Ausmaß, das vielleicht Warburgs Grenzen charakterisiert. Diese moralische Aufladung der Kunst, der Glaube, über das Bild und durch das Bild würden alle Übel und Heilperspektiven dieser Welt inkorporiert, eine fast magizistische Besetzung des Bildes, das, was durchaus die Faszination dieser Theorie ausmacht, war vielleicht nur in diesem jüdischen Kontext möglich. Ebenso der Gedanke einer Entmachtung von irrationalistischen Potenzen des Bildes durch rationale Aufschlüsselung – all das entspringt möglicherweise einer Überschätzung dieses Kultursektors.
Wie beurteilen Sie dann die Bedeutung von Warburgs Bildkonzept angesichts unserer Mediengesellschaft mit ihrer Bilderflut? Ist die Beschäftigung damit nicht zwar ein ehrenwerter, aber doch ein Schritt zurück, der an den heutigen Gegebenheiten vorbeigeht?
Vielleicht hat Warburg das selbst geahnt. Er hat ja den Bilderatlas als sein Spätwerk immer wieder vor sich hergewälzt und neu konzipiert. Da scheint so eine Ahnung gewesen zu sein, daß wir eigentlich mit dem klassischen Bildbegriff nicht mehr lange würden auskommen können. Aber für eine heutige Medientheorie wäre vielleicht doch einiges von Warburg her zu gewinnen.
Nämlich? Woran denken Sie?
An die Bewältigung der Bilderflut. Daß man durch seine Methode auch das Verhältnis Bild- Text bestimmt, daß der Text das Bild schlägt oder außer Kraft setzt; oder Bildreihen zu bilden und damit Abhängigkeit in Sequenzen zu erzeugen, die bildliche Strategien offenlegen. Die Ikonographie, das ist schon eine Methode, die auch auf aktuelle Bildrezeption ausgeht.
Der aufklärerische Impuls Warburgs offenbart sich dem Bibliotheksbesucher auch in der elliptischen Form des wunderbar rekonstruierten Lesesaals ...
Das ist vielleicht ein ganz schönes Beispiel für Warburgs Aufklärungstheorie. Er war der Meinung, daß ein kreisrunder Saal, wo es nur ein Zentrum gibt, ermüdet – deshalb die Ellipse. Dann aber hatte er die These, daß Keplers empirischer Nachweis, wonach die Planeten sich in einer elliptischen Bahn bewegen, deshalb auf die Leute so unangenehm und panisch gewirkt hat, weil seit Platon bis dahin galt: „Der Kreis ist die ideale und schönste Form, und deshalb muß die Welt, die Gott geschaffen hat, sich im Kreise bewegen.“ Wenn Keplers Nachweis richtig war, dann mußte man also plötzlich die Ellipse schön finden und damit ein ästhetisches Paradigma revidieren. Interview: Michael Marek
Matthias Schmitz
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