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„Das bringt jede Menge sozialen Zündstoff“

■ Die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck über die Pläne der Bundesregierung zur Rückführung von Kriegsflüchtlingen nach Bosnien und die Alternativen

taz: Die Kriegsflüchtinge und Vertriebenen sollen bald aus Deutschland nach Bosnien-Herzegowina zurückgeführt werden. Ginge es nach Innenminister Manfred Kanther, wäre der Stichtag schon im Juli. Ist der Plan realistisch?

Marieluise Beck: Nein. Die Bürgermeister der Kommunen im Raum Tuzla haben zwar übereinstimmend erklärt, daß sie alle Menschen wieder aufnehmen wollen, die hier einmal gewohnt haben. Aber diese Bürgermeister sind die Ausnahmen von der Regel. 11.000 Serben haben schon ihren Antrag gestellt. Doch auch in Tuzla türmen sich die Probleme, Wohnraum zu beschaffen, ist fast unmöglich. Schließlich sind in der Stadt Tuzla allein über 50.000 Flüchtlinge aus Srebrenica oder anderen Gebieten Ostbosniens untergebracht. Weiterhin ist ein Rückgang der humanitären Hilfe zu beobachten, das UNHCR hat im März nur noch 30 Prozent der Hilfe verteilen können, die im Vorjahr üblich war. Paradoxerweise ist im Frieden der Hunger zurückgekehrt. 80 Prozent der Bevölkerung sind vollständig von der humanitären Hilfe abhängig. Viele Rückkehrer müßten in Lagern untergebracht werden. Alle internationalen Organisationen, auch die UN- Flüchtlingsorganisation UNHCR, raten von einer schnellen Rückführung der Flüchtlinge ab.

Eine schnelle Rückführung würde die internationalen Organisationen und die nationalen Behörden vor Ort zwingen, die zivile Seite des Dayton-Abkommens schneller zu verwirklichen.

Es geht um das Rückkehrrecht für Flüchtlinge in ihre angestammte Gebiete. Im Augenblick ist an eine geordnete Rückkehr in die serbische Entität wie auch in die kroatisch dominierten Gebieten nicht zu denken. Auch einige muslimisch dominierte Kommunen machen Schwierigkeiten. Und selbst dort, wo der Wille da ist, türmen sich die Probleme.

Begänne im Juli der Rückführungsprozess, dann müßten die meisten muslimischen Rückkehrer in die von Muslimen gehaltenen Gebiete zurückkehren, wo sich ja ohnenhin die meisten Menschen drängen. Diese Menschen landen in Sarajevo und Tuzla. Dort gibt es nach wie vor Lager, wo 40 bis 50 Menschen in umfunktionierten Schulen in einem Raum leben müssen. Oder sie fordern ihre alten Wohnungen zurück, wo jetzt andere Vertriebene leben. Das bringt jede Menge sozialen Zündstoff.

Und was ist mit den Serben und Kroaten?

In den kroatisch dominierten Gebieten sträuben sich die Behörden, Muslime und Serben zurückkehren zu lassen, in den muslimisch dominierten Gebieten halten sich zwar die demokratischen, nicht national gebundenen Politiker an das Abkommen, andere aber nicht, in der serbischen Entität haben die Nationalisten das Sagen, und die wollen niemanden zurückkehren lassen, die wollen wie die kroatischen Nationalisten die ethnische Trennung.

Was wäre denn die Alternative?

Dem zivilen Prozeß Zeit zu geben und ihn nicht kaputtzumachen. Ein wesentlicher Baustein für die Beruhigung der Lage könnten Wahlen darstellen. Es zeichnet sich jetzt aber ab, daß der bisher von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – der OSZE – ausgearbeitete Wahlmodus den nationalistischen Kräften in die Hände arbeitet. Damit werden die Chancen für nicht national gebundene Parteien vermindert. Aber gerade das behindert die Rückkehr der Flüchtlinge. Eigentlich müßten die internationalen Organisationen das größte Interesse an einer Rückdrängung der Nationalisten haben.

Da könnten doch die Deutschen dagegenhalten?

Eigentlich müßten sie das. Aber es fehlt fehlt der Druck. Zum Beispiel beim Aufbau der internationalen Polizeitruppe, die müßte schon längst existieren. Bei der Ankurbelung der Wirtschaft, dem Wiederaufbau und der Entwicklung der Demokratie handelt Deutschland im Rahmen der internationalen Organisationen. Die Bundesregierung könnte aber Anstöße geben.

Was sollte die Bundesregierung als Nächstes tun?

Zunächst einmal andere Kritierien für die Rückführung finden. Die bisherigen sind der Lage vor Ort nicht angemessen. So sollen zuerst die Ledigen kommen. Das sind meist junge Männer, die nicht kämpfen wollten oder in Lagern waren. Dann die Familien und schließlich alleinstehende Mütter mit Kindern. Ich plädiere aber dafür, daß erst die Freiwilligen zurückkommen, die über Eigentum verfügen und gefahrlos in ihre angestammten Gebiete zurückkehren können. Die Menschen mit Qualifikation werden sicherlich für den Wiederaufbau gebraucht, auch sie sollten bald zurückkehren. Aber vor allem muß die Sicherheit für jene garantiert werden, die in Gebiete zurückwollen, von wo sie im Laufe des Krieges verjagt worden sind. Deshalb müssen wir für die Wiederherstellung der Republik Bosnien-Herzegowina eintreten, für Rechtssicherheit und Demokratie. Was jetzt gemacht wird, bedeutet lediglich, die Flüchtlinge in Angst und Schrecken zu versetzen, sie unter unglaublichen psychischen Druck zu setzen.

Das klingt, als wollten Sie die Flüchtlinge überhaupt nicht zurückschicken.

Im Prinzip sollten Kriegsflüchtlinge zurückkehren. Denn der Status Kriegsflüchting kann realistischerweise nur funktionieren, wenn nach Beendigung des Krieges jene in ihre Heimat zurückkehren, die wegen des Krieges aufgenommen wurden. Es wird leider noch viele Kriege auf dieser Welt geben, und Deutschland wird immer wieder helfen müssen. Nur sollte in Bosnien der fragile Friedensprozeß nicht mit der überstürzten Rückkehr kaputtgemacht werden. Interview: Erich Rathfelder

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