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Basisbewegung für die Rückkehr

In Bosnien wollen serbische, kroatische und muslimische Flüchtlinge zurück in ihre Heimat. Damit setzen sie die Ifor unter Druck  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Viele der vom Krieg Vertriebenen wollen nach Hause. Aber noch können sie nicht. Denn die Behörden der einander verfeindeten Entitäten in Bosnien-Herzegowina tun ihr möglichstes, um die Rückkehr der Flüchtlinge zu behindern. Die nationalistischen Führungen haben den Krieg um das Territorium geführt. Jetzt wollen sie das Ergebnis des Krieges – die ethnische Aufteilung des Landes – nicht mehr rückgängig machen. Außer in manchen bosnisch- muslimischen Regionen wie der Stadt Tuzla, wo immer noch nicht national gebundene Parteien das Sagen haben, wollen sie lediglich die Flüchtlige aufnehmen, die ihrer eigenen Nationalität entsprechen. So sollen Serben in das bosnisch- serbische kontrollierte Gebiet, Kroaten in die kroatisch kontrolierten und Muslime in die muslimisch kontrollierten Gebiete zurückkommen.

Das verstößt aber gegen das Abkommen von Dayton. Da wurde nämlich festgehalten, daß alle Flüchtlinge in ihre Heimatorte zurückkehren dürfen. Deshalb hat sich in Bosnien-Herzegowina urplötzlich eine Graswurzelbewegung entwickelt. Überall bilden sich Flüchtlingsgruppen, die wenigstens ihre Dörfer, ihre Häuser und Wohnungen besuchen wollen. Erst am Freitag versuchten 400 Muslime aus dem Raum Tuzla, in ihr Dorf in der serbischen Zone Bosniens zu gelangen. Es kam zu Zusammenstößen mit Serben, die nun in den ehemals von Muslimen bewohnten Häusern leben. Aber auch serbische Flüchtlinge wollen zurück: In der von den kroatischen Streitkräften im Juli letzten Jahres eroberten Stadt Glamoc kam es am Mittwoch zu Auseinandersetzungen zwischen Serben und kroatischen Polizisten, als eine Gruppe von damals vertriebenen Serben Glamoc besuchte.

In der Region von Tuzla ist die Rückkehrbewegung zu einer Massenbewegung geworden. Es bilden sich Komitees, die die Heimkehr organisieren wollen. So in Brka, einem Dorf in der Nähe der von Serben besetzten und ehemals mehrheitlich von Muslimen und Kroaten bewohnten Stadt Brčko. 10.000 Menschen forderten vor zwei Wochen ihr Recht auf Rückkehr. „Wir wollen nur das in Dayton verbürgte Recht auf Rückkehr verwirklicht sehen“, erklärten Sprecher der Bewegung.

Auch die Überlebenden von Srebrenica wollen zurück. Das Komitee der Frauen von Srebrenica hatte schon im Januar mit Demonstrationen auf sich aufmerksam gemacht. Jetzt soll ein Marsch von 4.000 Frauen nach Srebrenica geplant werden. Und am letzten Sonntag wollten Rückkehrer aus Deutschland ihre Häuser und den Friedhof in Prijedor im Norwesten Bosniens besuchen. Sie wurden von den Serben zurückgeschickt mit dem Argument, ihre Sicherheit könne nicht garantiert werden.

Die Graswurzelbewegung der Heimkehrer wird zunehmend zu einem Problem für die internationalen Truppen der Ifor. Denn die Zusammenstöße fordern die internationalen Friedenstruppen heraus. Sie müssen handeln, ob sie wollen oder nicht. Noch vor kurzem lehnten die meisten ihrer Sprecher den Schutz der Rückkehrbewegung ab. So erklärte ein Sprecher in Sarajevo, die Rückkehrbewegung sei von „unverantwortlichen Politikern“ angeleitet und zu verurteilen. Sie störe den Dayton-Friedensprozeß.

Inzwischen zeichnet sich jedoch eine Tendenzwende ab. So äußerte sich der US-Generalstabschef John Shalikashvili besorgt über Gewalttaten und Drohungen gegen rückkehrwillige Flüchtlinge. Ohne eine Erfüllung der zivilen Aspekte des Dayton-Abkommens, wie der Bewegungsfreiheit, könne die Aufgabe der Ifor in Bosnien nicht erfüllt werden, erklärte Shalikashvili am Donnerstag in Sarajevo. „Das sollte unsere höchsten Anstrengungen erfordern, weil man nicht erfolgreich sein kann, wenn am Ende nur die militärischen Ziele verwirklicht wurden.“

Shalikashvili sprach sich aber auch gegen den Einsatz von Militärpolizisten zum Schutz der Flüchtlinge aus. Auf lange Sicht sei die Bewegungsfreiheit in dem Land nicht von den Soldaten der Ifor-Friedenstruppe zu garantieren. Mit einer Sicherheitsgarantie der Militärs für die Menschen könne das Problem nicht gelöst werden. Doch auch er mochte nicht bestreiten, daß die Präsenz der Ifor-Truppen beruhigend wirkt. So bei einer Aktion in Brčko. Als Ifor-Truppen in die Luft schossen, wurden Auseinandersetzungen zwischen rückkehrwilligen Flüchtlingen und Serben beendet.

Die Graswurzelbewegung der Rückkehrer wirkt in der Tat auf den Prozeß der Umsetzung des Dayton-Abkommens ein. Sie stellt die Politik der ethnischen Trennung ernsthaft in Frage. Wenn nämlich alle Flüchtlinge und Vertriebenen zurückkehren würden, wäre der Vorkriegszustand der multiethnischen Gesellschaft wiederhergestellt.

Hatten die Friedenstruppen im März um Sarajevo noch gezögert, Sicherheitsgarantien für die verunsicherte serbische Bevölkerung zu geben – die dann ausgezogen ist –, so geraten sie jetzt immer mehr unter Druck, sich doch einzumischen. Daß der Ton in den letzten Tagen gegenüber den Nationalisten schärfer geworden ist, zeigt nicht nur das Interview mit dem Oberkommandierenden der US-Truppen. Scharf protestierte Serbenführer Radovan Karadžić gegen die Absicht der Ifor, das Kommando der britischen Truppen nach Banja Luka zu verlegen. „Der Protest wird ihm nichts nützten“, erwiderte ein britischer Sprecher. Ein Vorgang, der noch vor Wochen undenkbar erschien. Und anläßlich des muslimischen Opferfestes rief das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) die früheren Kriegsparteien dazu auf, Besuche von Muslimen in serbisch kontrollierten Gebieten zu erleichtern.

Die Präsenz der Ifor-Truppen wirkt sich positiv auf den Friedensprozeß aus. Doch erst, wenn nicht mehr gezögert wird, die im Dayton-Vertrag versprochenen zivilen Ziele umzusetzen, bekommt der Ifor-Einsatz seinen vollen Sinn. Für die Rückkehrer wäre dies nur ein erster Schritt. Denn bis Wohnraum geschaffen ist, bis alle in ihre Heimatorte zurückgehen können, sind noch zahlreiche Hürden zu überwinden. Viele Städte sind jetzt schon überbelegt, eine schnelle Rückkehr von Flüchtlingen aus dem Ausland würde zu neuen Spannungen führen.

Mit dem Frieden ist zudem ein Phänomen des Krieges zurückgekehrt: der Hunger. Das UNHCR warnt daher vor einer zu schnellen Rückkehr der 750.000 im Ausland lebenden Flüchtlinge. Der Organisation stünden im Vergleich zum Vorjahr nur 30 Prozent der humanitären Hilfe zur Verfügung.

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