: Billigholz aus Litauen
Wertvolle Stämme gehen zu Spottpreisen nach Skandinavien, aber die Litauer freuen sich trotzdem über die Devisen ■ Aus Vilnius Stefan Matysiak und Ralf Neumann
Pünktlich mit der Unabhängigkeitserklärung mußte die Waldwirtschaft Litauens ohne die ehemalige Sowjetunion auskommen. Seither hat sich die Struktur des Außenhandels mit Holz vollständig verändert. Litauen hatte sich als erstes Land vom exkommunistischen Großreich abgespalten und wurde dafür mit einer Wirtschaftsblockade bestraft, die die Marktbeziehungen zum mächtigen Nachbarn fast gänzlich zusammenbrechen ließen. Während früher rund ein Drittel des Bedarfs von dort importiert wurde, geht heute umgekehrt jeder dritte einheimische Baum, der gefällt wird, ins Ausland. Obwohl nur 28 Prozent der Landesfläche bewaldet sind, sind Holz und Holzprodukte auf der Ausfuhrliste mit sechs Prozent Anteil einer der wichtigeren Posten. So sehr stehen die Devisen im Vordergrund, daß Holz auf dem eigenen Markt langsam knapp wird.
Inzwischen ist das Geschäft mit dem Wald fast komplett in westlicher Hand. Rund 80 Prozent des lukrativen Marktes teilen sich inzwischen die Skandinavier. Die in Litauen früher fast nur als Brennstoff genutzte Birke geht heute zumeist als Papierholz in die gierigen Zellstoffabriken Finnlands und Schwedens. Selbst sehr gute, gerade gewachsene und astfreie Qualitäten, die andernorts als Möbel- oder Furnierholz gefragt wären, werden dabei als angeblich billiger Zellulosegrundstoff für 40 bis 50 Mark pro Festmeter über die Ostsee verschifft. Nach Güteklassen sortiert verkauft, wäre hier mindestens der doppelte Preis zu erzielen. „Das Aussortieren der Furnierhölzer lohnt sich nicht“, bemüht sich zwar Matti Kärkhäinen, Direktor der finnischen Forstversuchsanstalt, um eine Rechtfertigung der ausgesprochen günstigen Preise. Doch gerade in Litauen ist Arbeitskraft noch billig, und selbst ein Trennen der Ware beim Anladen im lohnkostenintensiven Skandinavien wäre eine leichte Aufgabe. Tatsächlich dürften jenseits der Ostsee die Rosinen herausgepickt und mit starkem Aufpreis weiterverkauft werden.
Doch in Litauen ist man mit den vergleichsweise niedrigen Preisen zufrieden – wird doch in harter Währung gezahlt. „Wir haben früher nicht soviel Geld bekommen für Birke“, sagt der Leiter des Forstamtes Kretinga, Antanas Baranauskas. Nebeneffekt: Die schwedischen und finnischen Holzlieferanten geraten unter starken Preisdruck, der bis zu den Waldbauern nach Deutschland durchschlägt. Bei der marktwirtschaftlichen Umorientierung wurden vor allem in deutsche Investoren große Hoffnungen gesetzt; ihre Produkte genießen eine geradezu überzogene Wertschätzung.
Helmutas Kohlis und andere Litauenlieblinge
Deutsche Wirtschaftsführer gelten als uneigennützig und Litauenliebhaber, und Helmutas Kohlis, wie der Kanzler hier genannt wird, ist in den Nachrichtensendungen regelmäßig präsent. Zur Enttäuschung der Litauer hielten sich die deutschen Investoren jedoch zurück, beim Geschäft mit dem Rohstoff Baum kamen sie zu spät. Und während ein deutscher Abfüller von Saftkonzentrat dabei ist, mit seinen Tetrapacks den mit heimischem Most eigentlich gut versorgten Pfandflaschenmarkt aufzurollen, verspielen an der Memel tätige deutsche Land- und Forstmaschinenhändler ihren unverdient guten Ruf mit überteuerten Gebrauchtgeräten.
Ob ein Bestand großflächig durch den von Ökologen kritisierten Kahlschlag oder durch einen Waldbrand vernichtet würde, sei doch egal, gibt Matti Kärkhäinen von der finnischen Forstversuchsanstalt einen Blick auf das Wesen seiner Waldbauphilosophie frei. Die Einheimischen selbst diskutieren Fragen der ökologischen Waldnutzung mit einem Bestand unterschiedlicher, an den Boden angepaßter Baumarten noch nicht; gilt doch in Litauen insgesamt der schonende Umgang mit den Ressourcen eher als Ausweis von Armut.
Einer geregelten Forstwirtschaft stehen heute vielfältige Hindernisse im Wege. Zäune gegen das Wild wurden schon immer selten gebaut, und vor allem die jungen Kiefern sind deshalb regelmäßig von den Elchen abgefressen worden. Warum der Schutz der Jungpflanzen unterblieb, weiß Willus Perkamas von der Revierförsterei Darbenai nicht zu sagen. Es war eben nicht üblich. Mittlerweile aber sei jeder Versuch sinnlos, da jeder auffindbare Zaundraht umgehend in das Devisenausland verschoben würde. Selbst die weitverstreuten Feuertürme in den Wäldern sind häufig außer Betrieb, weil die Telefonleitungen mal wieder gestohlen wurden.
Dem ungefährdeten Aufwuchs der Jungpflanzen dient heute, daß die Elche als nimmersattes Forstproblem in der letzten Zeit ausgefallen sind: Die fleischigen Tiere wurden fast komplett illegal abgeschossen. Das schützt nun die jungen Bäume, führt aber auch zu volkswirtschaftlichen Verlusten, weil jetzt die betuchten Jagdgäste aus dem Ausland ausbleiben.
Nicht mit dem Teufel, wohl aber mit der Mafia muß sich verbünden, wer überhaupt auf dem Holzmarkt tätig werden will. Die ehrenwerte Gesellschaft wird dabei in Litauen durchaus als Dienstleistungsunternehmen angesehen, das gegen entsprechende Gebühren einen ruhigen Geschäftsbetrieb garantiert. Existenzgründer können mit diesem hilfreichen Service leichter Fuß fassen.
Auch in einem österreichischen Sägewerk in der Nähe Darbenais waren die Herren schon. Mit der Begründung, bisher keine Gegenleistungen erhalten zu haben, habe man die Zahlungen verweigert, heißt es. Als Gegenleistungen kämen in dieser Branche etwa die Holzbeschaffung, die Vermittlung von Warenabnehmern oder andere durchaus auch in Westeuropa provisionsfähige Aufgaben in Betracht. Ohne Schmiergeldzahlungen aber, so ist zu erfahren, verschwinden im Holzhafen von Klaipeda die Ladearbeiter ohne erkennbaren Grund.
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