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„Berliner kommen sowieso – zum Kahnfahren“

■ In Lübben, einer Kreisstadt im Süden des Landes Brandenburg, ist die Fusionsstimmung auf einem Tiefpunkt. Jeder macht hier seine persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung auf

Horst Fiedler will am Sonntag mit Ja stimmen. Der Vorsitzende der Kreishandwerkerschaft im Landkreis Dahme-Spree betreibt in Lübben eine Glaserei. Dem Handwerk in Brandenburg gehe es schlecht, sagt Fiedler, vielen Betrieben drohe der Konkurs. Von der Fusion erhofften sich die Brandenburger Handwerksbetriebe mehr Aufträge aus der Hauptstadt. „Der Diepgen“, so verkündet er, „hat's mir versprochen.“

14.000 Menschen leben in Lübben im Spreewald, einer Kreisstadt 90 Kilometer südlich von Berlin. Saure-Gurken-Zeit ist hier das ganze Jahr über: Am Wochenende fallen die Touristen ein, lassen sich auf Kähnen durch den Spreewald schleppen und nehmen gläserweise original Spreewaldgurken mit nach Hause.

Den Rest der Woche ist hier nicht viel los. Die konservierten Gurken stammen inzwischen meist aus dem Nachbarland Polen, Nationale Volksarmee und Rote Armee sind abgezogen. Und auch die Arbeitsplätze im Braunkohletagebau sind rar geworden.

Nach Hinweisen darauf, daß am kommenden Sonntag auch hier in einer Volksabstimmung über die Zukunft der Region und des Landes entschieden wird, sucht man in Lübben vergeblich. Ein einziges Plakat schmückt die ganze Stadt – an der Spreebrücke mahnt Landesvater Stolpe: „Wer weiter denkt, sagt ja!“ „Lächerliche Kaffeewerbung“, schimpft eine Lehrerin. „Ich will nie wieder einer Regierung bedingungslos vertrauen.“ Das habe sie als Erfahrung aus der DDR mitgenommen.

Lübbens Bürgermeister Lothar Bretterbauer will seine Mitbürger dennoch vom Segen einer Vereinigung mit Berlin überzeugen – bis zum letzten Tag. Dabei setzt der CDU-Kommunalpolitiker vor allem auf die wirtschaftlichen Effekte einer einheitlichen Landesentwicklung.

Auch wenn die Stadt schon von der Kreisreform profitiert habe, fließen doch die meisten Investitionen in den Norden des Landkreises, der im sogenannten Speckgürtel an Berlin grenzt.

Wenige Tage vor der Volksabstimmung ist in Lübben von einem Endspurt im Meinungskampf keine Spur. Zu einem Streitgespräch im Schloß ist zwar reichlich Politprominenz aufgeboten; neun Leute drängeln sich auf dem Podium. Aber ihnen gegenüber sitzen gerade mal sieben Besucher.

Doch auch sieben Lübbener schaffen es, fast alle Argumente für und wider die Fusion anzusprechen. Die Dominanz Berlins in einem gemeinsamen Bundesland wird da heraufbeschworen, die Pleite der Bundeshauptstadt und die Sorge um Brandenburgs Kultur oder Bildung. Jeder macht sein Votum vom ganz persönlichen Nutzen abhängig. Wird mein Krankenhaus geschlossen, wenn Berlin und Brandenburg ein gemeinsames Bundesland bilde, möchte ein angehender Mediziner wissen. Was passiert mit dem Braunkohlestrom aus der Lausitz in einem gemeinsamen Bundesland, fragt ein Arbeiter aus der Energiewirtschaft.

Der PDS-Landtagsabgeordnete Michael Schumann hat da leichtes Spiel. Mit Nein sollen die Lübbener stimmen, weil in dem Vertrag fast nichts geregelt sei. Dirk Brour hingegen, der im Potsdamer Justizministerium arbeitet, findet zwar beeindruckend schnell den richtigen Paragraphen, erschlägt aber die Besucher mit seinem unverständlichen Juristendeutsch.

Während im Lübbener Schloß noch die abgestandenen Argumente ausgetauscht werden, verbrüdern sich am Kneipentresen bereits die Fusionsgegner beider Länder. „Ich will mich nicht mit Berlin vereinigen“, klagt ein Gast. Und er entläßt den Spreewaldbesucher aus Berlin erst aus der Kneipe, als dieser bekennt, auch er wolle sich nicht mit den Brandenburgern vereinigen.

Die Berliner, tröstet sich Bürgermeister Bretterbauer, „kommen auch ohne Fusion in den Spreewald – zum Kahnfahren. Im Tourismus liegt unsere einzige Chance.“

Christoph Seils, Lübben

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