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Wuchernde Wildnis

Öko-Gärtnern auf dem Balkon ist immer noch eine Rarität. Doch mit der richtigen Bepflanzung werden Blumenkästen zu einer kleinen Öko-Oase  ■ Von Lennart Paul

Erschöpft läßt sich Andrea Wagner auf einen Stuhl fallen. Gerade hat sie die Balkonkästen aus dem Keller geholt, die noch mit Erde vom vergangenen Jahr gefüllt sind. Morgen will sie in eine Gärtnerei an der Stadtgrenze fahren und die Blumen für die Kästen aussuchen. „Sonst hatte ich vor allem Geranien“, sagt sie. Doch das einheitliche Rot sei ihr langweilig geworden. „Diesmal werde ich mal was ausprobieren und meine Kästen ganz bunt gestalten.“

Andrea denkt vor allem daran, welches Blumenensemble ein schönes Bild ergibt. Aber die Vielfalt auf dem Balkon hilft auch der Natur. Mit einer guten Mischung an Balkonpflanzen kann auf engem Raum ein Biotop entstehen, eine kleine Oase in der Großstadtwüste.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert dazu auf, Balkone in einen Platz zu verwandeln, an dem sich nicht nur die Menschen, sondern auch Käfer, Schmetterlinge und Vögel wohlfühlen. Die vom BUND herausgegebene Broschüre „Lebendiger Balkon“ gibt dazu Tips, vom Kauf der Blumenkästen bis zu der Frage, was zu tun ist, wenn Wespen mit dem Nestbau beginnen.

Die Umweltorganisation rät, auf Plastikkästen zu verzichten und Gefäße aus natürlichen Materialien wie Ton oder Holz zu verwenden. Entsprechend der Jahreszeit empfehlen die Mitarbeiter der Umweltorganisation unterschiedliche Pflanzen. Mit Hilfe eines „Duftkastens“ mit Kamille, Balsamkraut und Levkojen, kann man auch Mücken abschrecken, wenn Lavendel dazwischensteht.

Eine besondere Attraktion ist der Schmetterlings- und Bienenkasten. Besonders nektar- und pollenreiche Pflanzen wie Glockenblumen, Wiesensalbei, Löwenmäulchen oder Moschusmalve sollen Hummeln und Bienen anlocken. Die Tiere fliegen auf diese Blüten, weil ihr Gelb, Rot oder Weiß sie anlockt. Schmetterlinge bevorzugen Disteln und Astern, Natternköpfe und Doldengewächse. Zum Gießen verwendet man am besten aufgefangenes Regenwasser, denn viele Pflanzen vertragen das kalkhaltige oder gechlorte Leitungswasser nicht.

Geht es um die Ernährung, ist das Umweltbewußtsein der Kunden stark ausgeprägt. Sie wollen wissen, was in ihren Magen kommt – ihre Gesundheit und eine gesunde Natur sind dabei nicht voneinander zu trennen. Rindfleisch vergammelt in den Geschäften, Hollandtomaten bleiben liegen, Bioläden dagegen haben Konjunktur.

Doch auf dem Weg vom Mittagstisch zu den Balkonpflanzen vergessen viele ihr Umweltbewußtsein. Ökologisches Gärtnern hat immer noch Seltenheitswert. Viele Hobbygärtner verwenden chemische Dünger und Torferde. Doch deren Abbau vernichtet die letzten europäischen Moore. „Viele kaufen die Pflanzen fix und fertig im Baumarkt, setzen sie ein und schmeißen sie im Herbst wieder raus“, sagt der Gärtner Uwe Peglow. „Die Natur bleibt ihnen fremd.“

Umweltbewußtsein fehlt auf beiden Seiten: Auch in den Gärtnereien findet das Umdenken nur langsam statt. Uwe Peglow arbeitet im Hermsdorfer „Gärtnerhof“, der sich das natürliche Gärtnern zur Aufgabe gemacht hat. In seinem Geschäft wird auf Torferde und künstliche Pflanzenschutzmittel verzichtet. Der Betrieb ist auf Staudenpflanzen spezialisiert. Statt Blumen gibt es Kräuter, Farne, Gräser und Wasserpflanzen zu kaufen.

Uwe Peglow rät den Balkonbesitzern, Komposterde zu verwenden und Dünger auf Naturbasis beizumischen: „Bei der richtigen Mischung aus Hornspänen, Knochenmehl und Steinmehl muß man während des Sommers nicht nachdüngen.“ Für den Blumenkauf empfiehlt er, ungefüllte Blüten auszusuchen – Pflanzen, bei denen die Staubgefäße zu sehen sind. Bei gefüllten Züchtungen kämen die Insekten nicht an den Nektar und die Pollen, erzählt er.

Wer seine Kästen dauerhaft gestalten wolle, könne zwergenhafte Gehölze oder Efeu pflanzen. Uwe Peglows Tip für Südbalkone: ein Kräutergarten. „Dafür muß die Komposterde mit Sand und Schotter versetzt werden. Kräuter lieben einen mageren Boden wie in südlichen Ländern. Dann bilden sie auch ein viel stärkeres Aroma aus.“

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