piwik no script img

Fahrrad flott auf Kreuzerbasis

Für das Angebot im Tauschring gibt es keine Grenzen. MitarbeiterInnen von Nachbarschaftsläden werden zu professionellen Kiezmanagern  ■ Von Torsten Teichmann

„Ich wußte gar nicht, was ich anbieten sollte“, erinnert sich Herbert Peters an seine erste „TauschRausch“-Veranstaltung im Nachbarschaftsheim Urbanstraße. Mitglieder des Kreuzberger Tauschrings handelten, wie jeden letzten Sonntag im Monat, mit ihren Dienstleistungen, Sachen und der kiezüblichen Verrechnungseinheit, dem Kreuzer. Nur Herbert Peters als Tauschanfänger sei nichts eingefallen, was er feilbieten könnte.

Spontan entschloß er sich, die Wohnung für die Zeit seines Urlaubs unterzuvermieten. „Ich schrieb mein Angebot auf eine große Tafel, und wenig später rief eine Stimme über Lautsprecher: ,Sabine sucht Herbert wegen der Wohnung‘“, erzählt der Familienvater.

Die Tauschenden entstammen zumeist dem alternativen Kreuzberger Kreis, „Leute, mit denen ich kann“, beschreibt es Peters. Er möchte so seinen Freundeskreis erweitern, neue Leute kennenlernen und träumt von einem wiederbelebten Kreuzberger Kiez – etwas „gegen dieses Jeder-gegen-jeden setzen“, wie es der 37jährige Peters nennt.

„Es geht darum, daß die Leute im Kiez einander brauchen, aufeinander achten“, sagt Andrea Tigges, eine Mitbegründerin der „Talentebörse“ in Wedding, die ähnlich einem Tauschring funktioniert.

Am Anfang baute sie mit dem Kommunalforum Wedding an einem Pappmodell des Stadtteils zwischen Müllerstraße und Nordufer mit. „Damit zogen wir durch Seniorenheime, Schulen, in Hinterhöfe und vor U-Bahn-Stationen.“ Die Leute erkannten ihre Häuser und Wege wieder. „Wir kamen über das Modell auf den den Kiez zu sprechen“, sagt Andrea Tigges. Ergebnis war, daß es viel Arbeit im Stadtteil gibt, aber auch immer mehr Arbeitslose.

Die Talentebörse im Nachbarschaftsladen sammelt nun die Fähigkeiten der Einwohner und stellt Kontakte zu Bedürftigen her. Ob Bezahlung oder Tausch, die Entlohnung ist nicht fest geregelt. Im Vordergrund stehen der Kiez und die Beziehungen seiner Bewohner. Alle zwei Monate erscheint der Kiezbote mit neuen „Kontaktangeboten“.

Das Kreuzberger Pendant, der Straßenkreuzer, bietet auf den 16 kopierten Seiten in langen Listen Dienstleitungen und Sachen der Ring-Mitglieder: Umzugshilfen, Fahrräder, Lebensmittel aus ökologischem Anbau oder Wasserkefir-Ansätze. Herbert Peters bietet als gelernter Fotosetzer Computerkurse an. Seit Ende April ist er arbeitslos. Seitdem arbeitet er an der Produktion der Vereinszeitung mit, auch das bringt Kreuzer. Seine Frau kocht gern asiatisch, nun auch für andere.

Der Ring funktioniert nur, wenn der Kreuzer in Bewegung bleibt. „Einige Mitglieder sind im Minus und arbeiten es nicht ab“, sagt Peters. Deshalb überlegt der Verein ein Kreuzerlimit einzuführen, fast wie ein Dispokredit. Oder die Kontostände der Mitglieder werden in der Zeitung veröffentlicht.

Familie Peters hatte noch über 400 Kreuzer gut, davon haben sie beim „TauschRausch“ am vergangenen Wochenende eine Kühlbox, Kinderkleidung und Spiele für ihre Tochter gekauft. Die Fahrräder hat ein Fahrradhändler auf Kreuzerbasis fürs Frühjahr flottgemacht. Wieviel Ersparnis die Tauschgeschäfte ihm und seiner Frauen bringen, kann Herbert Peters noch nicht abschätzen, „das hängt auch davon ab, wie stark man sich engagiert“.

Herbert Peters hofft, daß noch mehr getauscht wird und daß Tauschringe einander angeglichen werden. Es wäre doch toll, wenn ich eine Fahrt nach Kopenhagen bei der Mitfahrzentrale ertauschen könne, wünscht er sich.

In Kreuzberg arbeiten Vereine wie Netzwerk oder die Ökostadt schon an einem übergeordneten Tauschring. Darin sollen auch kleinere Firmen eingebunden sein. Auf einem Volkshochschulkurs wird den Interessenten mit quer durch den Raum laufenden Bändern demonstriert, wie die Vernetzung aussehen kann.

Ein junger Mann mit dem Pappschild „Kindergarten“ wird mit einem ausgeschilderten Mitarbeiter des Kinos verbunden. Von dem führt das rot-weiße Plastikband zu einer Frau, die eine Pappe mit der Aufschrift „Autovermietung“ hält. Am Ende ist der Kiez so dicht verwoben, daß sich keiner aus dem Netz ohne Schere befreien kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen