Politischer Prozeß als Pausensnack-Verfahren

■ PKK-Prozeß vor dem Hamburger Oberlandesgericht: Ein Fazit nach den ersten 13 Verhandlungstagen

BesucherInnen sitzen hinter einer drei Meter hohen Glasscheibe. Der Zwischenraum von der Oberkante bis zur Decke ist mit einer Art Volleyball-Netz verhängt.

Diesseits – für die Presse: diesseits – von Netz und Scheibe verhandeln seit dem 20.  März der dritte Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts, drei Vertreter der Bundesanwaltschaft (BAW) und sechs AnwältInnen über die Anklage gegen Azime Y., Meryem Y. und Sait B., mutmaßliche FunktionärInnen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Als Regionsverantwortliche der „Europäischen Frontzentrale“ sollen Azime Y. und Meryem Y. Mordversuche an PKK-Dissidenten in Bremen und Hamburg veranlaßt haben; Sait B. soll die beiden Frauen dabei unterstützt haben bzw. in Bremen an einem Überfall beteiligt gewesen sein.

Was durch die Sicherheitsvorkehrungen und die 98-seitige Anklageschrift zu einer Machtdemonstration deutschen Staatsschutzes werden sollte, entwickelte sich im Laufe der bislang dreizehn Prozeßtage zu einem Pausensnack-Verfahren: Dank der Bemühungen der Anwaltschaft, die Justizmaschine mit hunderterlei Anträgen wegen Verfahrensfehlern und ähnlichem in Stottern zu bringen, wird die Verhandlung an manchen Tagen im Halbstundentakt unterbrochen.

Wie bei der bislang letzten Verhandlung am Donnerstag: Zeugin Annerose K.? Noch nicht da. Pause. Als sie endlich eingetrudelt ist, muß zunächst stundenlang geklärt werden, ob die Angeklagte Azime Y. trotz Kopfschmerzen weiterhin der simultan übersetzten Verhandlung via Kopfhörer folgen könne.

Als Annerose K. schließlich aussagt, sagt sie nichts: Ja, ihr Mann Fuat K. sei im Oktober 1994 überfallen und lebensgefährlich verletzt worden. „Schon möglich“, daß die Tat politischen Hintergrund habe. Aber eigentlich würde sie sich lieber einen Anwalt nehmen und dann erst weiter aussagen. Eines noch verrät sie: Zwischen ihrem Mann und dem Angeklagten Sait B. sei nach den Wahlen zum Kurdischen Nationalparlament ein Streit ausgebrochen.

Der Stand der Ermittlungen der BAW sieht bislang in etwa so aus: Anneroses Mann, Fuat K., hatte in Bremen engen Kontakt zu Selim Cürükkaya, einem Kritiker des PKK-Vorsitzenden Abdullah „Apo“ Öcalan. Für sein „Apo“-kritisches Buch mußte sich Cürückaya 1994 verstecken; nach den Vorstellungen der BAW wurden daraufhin Fuat K. von dem Angeklagten Sait B. und anderen überfallen und für seine Freundschaft zu Cürükkaya „bestraft“.

Das andere Opfer, Halil A., war im Oktober 1994 in Hamburg überfallen und schwer am Kopf verletzt worden. Er hatte sich Ende April geweigert, im Prozeß auszusagen. Daran, daß er nach dem Überfall gesagt haben solle, die Täter zu kennen und daß die Angeklagte Azime Y. sie kommandiert hätte, konnte er sich nicht erinnern. Daß Richter Mentz auf Antrag der BAW die PKK-sympathisierende Öffentlichkeit aus dem Saal entfernen ließ, weil sie den Zeugen bedrohen könnte, nützte auch nichts mehr, im Gegenteil: Halil A. machte nur noch kryptische Angaben.

Da hilft weder der paternalistische Charme eines Richters Mentz, der die ZeugInnen gerne vor der Anwaltschaft in Schutz nimmt, noch die Autorität des ach-so-hohen Gerichts – eine Wahrheitsfindung nach dem Muster der deutschen Justiz jedenfalls scheint nicht die Lösung innerkurdischer Probleme zu sein.

Es werde der BAW schwerfallen, meint Anwalt Hartmut Jacobi, nachzuweisen, daß es sich bei den Überfällen um politisch motivierte Mordversuche und nicht um Körperverletzung durch unbekannte Täter handele. „Wahrscheinlich wird versucht werden, den Mordversuch zu belegen, um dann die Anklage nach 129a – 'Bildung einer terroristischen Vereinigung' – fallenzulassen.“

Eine Einordnung der Taten in einen strafrechtlich relevanten politischen Zusammenhang fällt schwer, wenn die Angeklagten – anders als etwa die RAF – ihre politische Identität nicht preisgeben. Zwar hatten sie in Erklärungen an den ersten Verhandlungstagen die gesamte Geschichte des kurdischen Widerstands referiert und die Kollaboration des deutschen Staates mit dem türkischen Regime angeprangert, aber zu ihren Mitgliedschaften hatten sie sich nicht geäußert.

Im übrigen, ergänzt Anwalt Josef Gräßle-Münscher, lasse sich der § 129a auf die PKK gar nicht anwenden. Den Angeklagten müsse nachgewiesen werden, daß sie zu einer terroristischen Gruppe innerhalb der PKK gehörten – „und die will erst einmal definiert sein.“ Ein Kunststück, zu dem zwei Kronzeugen beitragen sollen, die die BAW noch präsentieren möchte.

Am morgigen Dienstag beginnt die zweite Verhandlungsrunde mit der Zeugin Annerose K. Vielleicht ist sie ja pünktlich.

Ulrike Winkelmann