Press-Schlag
: Ein Scherge mit Herz

■ Heute: Wir fühlen mit Calmund (1)

Noch war keine Stunde nach Ende des Spiels vergangen, da hatte der Mann schon wieder Zeit für Visionen. Kurt Vossen, sogenannter Fußballchef von Bayer Leverkusen, plauderte über neue Konzeptionen im Trainergeschäft und forderte veränderte Modelle für die Abstiegsregelung. Schließlich könne es nicht angehen, daß in jedem Jahr drei Klubs das gelobte Land der Bundesliga verlassen müßten. Was nun bitte wirklich nichts mit den gerade erst aufgefrischten Erfahrungen seines Klubs in Sachen Abstiegskampf zu tun habe. Und wie er da so erzählte, konnte man sicher sein, daß diese nach dem 2:1 gegen 1860 München schon kein Thema mehr waren. Obwohl jedermann heftig beteuerte, daß noch ein Punkt zur sicheren Rettung fehle und keinesfalls „zuviel Stimmung aufkommen solle“, wie Manager Calmund warnte.

Begonnen hatte der kürzeste Abstiegskampf in der Bundesliga-Geschichte am letzten Dienstag um 21.45 Uhr. Da war Bayer bei den dissidenten Werkskollegen in Uerdingen mit 0:3 so trostlos eingegangen, daß sich sogar die Mannschaft „unheimlich geschämt“ hatte, wie Stürmer Ulf Kirsten zugab. Der Vorstand hatte auf sie eingeteufelt, sie als „Legionäre“ beschimpft und dann in die äußere Emigration eines Sporthotels im Bergischen Land geschickt. Die Saison, von der man sich eine Rückkehr in den UEFA-Cup versprochen hatte, hatte plötzlich sogar die Ausbaupläne für die neue Tribüne fraglich gemacht. Was nun mit all den schicken VIP-Räumen und dem McDonald's-Restaurant in der Baulücke hinterm Tor?. 91,5 Stunden lang hatte die Zukunft des Vereins in Frage gestanden.

Manchen wird das klammheimlich – oder völlig offen – gefreut und die Kürze dieses Abstiegskampfes eher geärgert haben. Die Schergen des Pharma- Multis auf den Knien zu sehen, da rühren sich eindeutige Instinkte. Doch soll hier einmal – und das nur ausnahmsweise und ganz vorsichtig – um Verständnis für Leverkusen gebuhlt werden. Oder genauer: für Reiner Calmund. Der dickste Manager des deutschen Fußballs ist nämlich ein wahrer „Football Man“. Seine Begeisterung für das Spiel, seine Hingabe bei der Geldbeschaffung für nutzlose Kicker, seine väterliche Sorge ums fußballerische Personal und seine Loyalität zu überbezahlten Trainern sind schon fast rührend. Irgendwie scheint er sie alle zu adoptieren. Wohl deshalb kann er auch so leiden. Wer am Dienstag in Uerdingen das Kinn von Reiner Calmund unkontrolliert beben sah, mußte schon ein Herz aus Stein haben, um nicht zumindest etwas mitzufühlen. Womit die Kurzeloge auf Mr. Leverkusen auch schon beendet und ihm die Frage entgegengeschleudert sein soll, warum er nicht mal zu einem ordentlichen Verein geht. Christoph Biermann