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■ Der neue Regierungschef Aznar, die Nationalisten und die Probleme des spanischen FöderalismusKaffee für alle?!

Kaum hat sich Spaniens konservativer Wahlsieger José Maria Aznar mit den baskischen und katalanischen Nationalisten geeinigt, wird Kritik am Verhandlungsergebnis laut. Es führe zur Ungleichbehandlung der Regionen und vergrößere damit die sozialen Schere zwischen dem reichen Norden – Katalonien und Baskenland – und dem armen Süden Spaniens. Vor allem die sozialistisch regierten Autonomien wie Andalusien, Castilla de la Mancha und Extramadurien wollen jetzt nicht länger zusehen, wie die Nationalisten Stück für Stück mehr Kompetenzen erhalten, während sie auf dem Abstellgleis stehen und nur dann mehr Rechte bekommen, wenn diese in den Verhandlungen mit den Nationalisten mit abfallen.

Die Baskisch Nationalistische Partei (PNV) und die katalanischen Convergència i Unió (CiU) stören diese Vorwürfe nur wenig. In ihrem Weltbild kommen die Menschen der Regionen, die nicht wie Galicien, Katalonien oder das Baskenland über eine eigene Sprache und Kultur verfügen, nur als Spanier vor. Die hätten nichts, so sagen die Nationalisten, was sie aus der grauen Masse heraushebt und somit auch keinen Anspruch auf Sonderrechte. Sie müßten sich mit der Gängelung durch Madrid abfinden. „Kaffee für alle? Das gibt es nicht“, bringen die Nationalisten ihre Haltung auf den Punkt.

Was Jordi Pujol, Präsident der katalanischen Autonomieregierung und Chef von CiU, einzig und allein interessiert, ist „ein modernes, weltoffenes Katalonien, eingebunden in ein Spanien als Vielvölkerstaat“. Und dem ist er ein bedeutendes Stück näher, seit Aznar am vergangenen Freitag in seiner Antrittsrede die Katalanen und Basken als eigenständige Nationen anerkannte – wenn auch nicht ganz freiwillig, sondern nur deswegen, weil ihm die notwendige Parlamentsmehrheit fehlte. Stimmen, die er sich mit umfangreichen Zugeständnissen bei den Nationalisten holte. „Die tiefgreifendste Staatsreform seit dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie“, bewertet Pujol den Maßnahmenkatalog. Er habe Aznar und damit der spanischen Rechten das von Franco geerbte zentralstaatliche Denken ausgetrieben. Dies käme allen Spaniern zu Gute.

In der Europapolitik wird Aznar keine wichtigen Entscheidungen treffen können, ohne bei den insgesamt 17 Regionalregierungen um Rat zu fragen. Das Amt des Zivilgouverneurs, symbolträchtiges Überbleibsel der Zentralverwaltung des Diktators Franco – vergleichbar dem französischen Präfekten –, wird gestrichen. Die Verwaltung der Häfen wechselt von Madrid in die Regionen. Dies soll ebenso wie die erweiterten regionalen Steuerkompetenzen eine gezieltere Strukturpolitik mittels Hebung und Senkung von Abgabesätzen ermöglichen. Denn über die 30 Prozent der Lohn- und Einkommensteuer, die statt wie bisher 15 Prozent an die Regionen gehen, erhalten diese auch Gesetzgebungskompetenzen.

Was Pujol gern vergißt: Das Mehr an Föderalismus kommt nicht allen in gleichem Maße zugute, denn die Gleichbehandlung aller 17 Regionen gilt nicht bei allen ausgehandelten Reformen. So sicherte sich Pujol mehr Rechte für seine Autonomiepolizei Mossos d'Esquadra. Die Einheiten der gesamtspanischen Guardia Civil, die den Verkehr auf Kataloniens Straßen überwachen, unterstehen fortan der Autonomieregierung und nicht wie bisher dem Madrider Innenministerium. Die baskische Regierung übernimmt außerdem die Berufsfortbildung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Fonds werden zu diesem Zweck aus dem gesamtstaatlichen Arbeitsamt herausgenommen. Ein Punkt, der die gesamtspanischen Gewerkschaften Sturm laufen läßt, während ihre nationalistischen Kollegen Beifall zollen.

Die Auseinandersetzung um die unterschiedlichen Rechte für die Regionen ist so alt wie die spanische Verfassung. 1978 – drei Jahre nach dem Tod von Diktator Franco – verwandelte sich das bis dahin durch und durch zentralistisch organisierte Land in „einen Staat der autonomen Regionen“. Vor allem seitens der Basken und Katalanen war in den letzten Jahren der Diktatur die Forderung nach einem Staatsaufbau, der dem Vielvölkercharakter Spaniens gerecht wird, laut geworden. Sie wollten endgültig das zentralistische Korsett abstreifen, das so lange Sprache und Kultur der Minderheiten unterdrückt hatte.

Die alten Machteliten mußten nachgeben, allerdings ohne eine komplett föderale Struktur zuzulassen, wie das vor allem von der nicht nationalistischen Linken gefordert worden ist. Die Verteidiger des Föderalismus behaarten nur wenig auf ihrem Staatskonzept, um das gesamte Projekt des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie nicht zu gefährten. Was dabei herauskam, sind 17 Autonomien mit vollständig unterschiedlichen Rechten. Die drei historischen Regionen erhielten eine weitgehende „Selbstregierung“; Andalusien, Navarra, Valencia und die Kanarischen Insel – wurden im nachhinein an diesen Status angepaßt; die übrigen zehn müssen sich mit dem abfinden, was sich „Autonomien auf dem langsamen Weg“ nennt. Während die einen mit ihrer Kultushoheit und ihren Kompetenzen im Gesundheits- und Sozialbereich einem deutschen Bundesland sehr nahekommen, hängen die anderen noch immer von Madrid ab.

Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Die Kritik derjenigen, die sich benachteiligt fühlen, richtet sich zu stark nach der politisch Großwetterlage. Die Partei, die in Madrid mit Hilfe der Nationalisten gerade regiert, hält sich zurück. Die anderen verteufeln die Katalanen und Basken als egoistisch, anstatt offensiv für eigene Rechte einzustehen. Als Felipe González mit CiU regierte, und dafür erstmals Steuerkompetenzen abtrat, fiel diese Rolle der Partido Popular zu. Jetzt, nachdem die Konservativen zwangsläufig umdenken mußten, nehmen die Sozialisten ihren Platz ein und machen mit antikatalanischen und antibaskischen Tönen Oppositionspolitik. Eine starke Bewegung für einen ausgeprägten, egalitären Föderalismus läßt so auf sich warten. Paradoxerweise hatten es einzig und allein die Katalanen und Basken in ihrer Rolle als „Königsmacher“ mehrmals in der Hand, die so notwendige Föderalisierung Spaniens voranzutreiben. Doch um diese Chance zu nutzen, müßten sie begreifen, daß sich aus kulturellen und historischen Unterschieden kein dauerhafter Anspruch auf Ungleichbehandlung ableiten läßt. Denn wo die einen Kaffee schlürfen, wollen dies die Nachbarn auch – egal in welcher Sprache sie um Milch und Zucker bitten. Reiner Wandler, Madrid

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