: Schutzlos ausgeliefert
■ Prozeßbeginn wegen Menschelhandels und Zuhälterei
Es kommt fast nie vor, daß die betroffenen Frauen auspacken. Zu groß ist die Angst, schutzlos der Gewalt von FrauenhändlerInnen ausgeliefert zu sein. So verwundert es nicht, daß Emi V. die Fragen des Richters stockend und wortkarg beantwortet und erst auf zweifache Nachfrage bestätigt, was sie der Polizei längst zu Protokoll gegeben hat: Im Alter von 16 Jahren sei sie mit dem Versprechen, in einem Friseursalon zu arbeiten, aus der Dominikanischen Republik nach Hamburg gelockt und hier zur Prostitution gezwungen worden.
Die Beschuldigten, die im Rücken der nervös wirkenden Zeugin sitzen, vernehmen jedes Wort. Bis der Vorsitzende Richter der großen Strafkammer, Landgerichtsvizepräsident Dr. Raabe, ein Einsehen hat: Die Beschuldigten und die Öffentlichkeit werden während der Vernehmung von dem Verfahren ausgeschlossen. Raabe: „Es ist zu befürchten, daß die Zeugin in Anwesenheit der Angeklagten nicht die Wahrheit sagt.“ Auch die Angeklagten stammen aus der Dominikanischen Republik.
Die wegen Zuhälterei bereits zu einer dreieinhalbjährigen Bewährungsstrafe verurteilte, seit 1985 in Hamburg lebende Mercedes G., 45, und ihr 22jähriger Sohn Octavio L. haben laut Anklageschrift 1994 und 1995 Emi V. und Marie L. aus ihrem Heimatland unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Bundesrepublik gelockt, zum gewerblichen Sex gezwungen und ihnen anschließend fast „den gesamten Prostitutionserlös abgenommen“. Allein Emi V. soll dabei genötigt worden sein, rund 120.000 Mark an die beiden Menschenhändler zu zahlen.
Zudem soll Octavio L. auf Marie L. nach einem ersten Fluchtversuch mit einem Messer eingestochen haben. Mehrere Nerven ihrer Hand wurden von der Klinge durchtrennt, drei Finger blieben bis heute taub. Schließlich gelang es den beiden Frauen zu entkommen: Sie vertrauten sich der Organisation „Amnesty for women“ und der Polizei an. Durch Vermittlung von „Amnesty for women“ fanden die beiden Mißhandelten eine vorläufige Bleibe im Frauenhaus.
Während über die Zukunft der beiden wegen Frauenhandels und Zuhälterei Angeklagten in den folgenden Verhandlungstagen entschieden werden wird, ist das Schicksal der beiden Mißhandelten völlig ungewiß. Anders als etwa in Nordrhein-Westfalen besitzen Prostitutions-Opfer in der Hansestadt nur eine Aufenthaltsduldung, bis sie als Zeuginnen nicht mehr gebraucht werden. Danach steht die Ausweisung in die Dominikanische Republik bevor.
Doch dahin haben auch die Beschuldigten gute Kontakte. Nach Aussage einer Amnesty-for-woman-Mitarbeiterin wurde die Mutter von Emi V. in ihrer Heimat massiv bedroht – für den Fall daß ihre Tochter vor Gericht auspackt.
Marco Carini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen