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Mit vereinten Kräften gegen die Aldisierung

■ Kaffeeverkostung mit Trendforscher Matthias Horx und vier neuen Sorten Jacobs-Kaffee / Der Trend heißt: authentisch

Neue „Kaffeetrinksituationen“ braucht das Land, „Umerziehung“ und „Verbündete“. Allerhand, was Matthias Horx, seines Zeichens Trendforscher und Leiter des Hamburger „Trendbüros“, fordert. Aber nicht von ungefähr; schließlich zeichnen sich deutliche Konturen am Trendhorizont ab. Der Trend nennt sich „authentic“ („weil das deutsche Wort Authentizität so schwer auszusprechen ist“); es ist erlaubt, von einem „Groß-Trend“ zu sprechen. Authentic, das heißt, „ich kenne die Kuh auf meinem Teller“ (Horx) – und denke beim Kauen an die langmütige Miene des sanften Rindvieh-Züchters, wenn er des Morgens seine Tiere mit Namen begrüßt. Authentic. Kein BSE, kein novel Food, keine Handys, keine Hektik – authentic.

Dem Trend kann sich auch der gemeine Kaffeetrinker (vier Tassen pro Tag, rückläufig) nicht mehr länger verweigern, die Chance dazu bietet ihm jetzt Kraft Jacobs Suchard. In der stilvollen Atmosphäre des neu eröffneten „Pumpenhauses“ verkosteten geladene JournalistInnen am Montag abend schon mal die vier neuen Sorten aus dem Hause Jacobs – gustatorisch angeleitet von Arnd Feye, Berufs-Feinschmecker und Küchenchef im Bremer Restaurant „L'Orchidée“. Es gilt, „den Status von Kaffee als Spezialität, Kultur und Zeremonie wieder aufleben zu lassen“, findet Jacobs, und Marketingdirektor Uwe Riehs will „neue, spannende Kaffees“ – man hätte entspannende erwartet.

Bloß: Wer soll das alles trinken? Der Kaffee-Konsum in Deutschland geht zurück, wird da der Verbraucher bereit sein, für „Jacobs Pure Origin Coffee“ sechs bis 7,50 Mark fürs halbe Pfund auszugeben? Aller Augen richten sich auf Horx, der Trends erschnüffelt wie Schweine Trüffel. Das Problem sei die Vermarktung, zum Beispiel der „Krönung“. Die bediene zwar familiäre Sehnsuchts-Tendenzen in einer zunehmend entfamiliarisierten Gesellschaft, ließe aber bestimmte Zielgruppen außer acht. „Kaffee wird hierzulande vermarktet, als würde er bei Tante Emma im Garten wachsen“, beschwert sich Horx in den „Coffee News“, der neu geschaffenen Hauszeitung der „Jacobs Friends of Coffee“. Die „Coffee News“ sieht übrigens in Form und Farbe der „Woche“ beschämend ähnlich. Kein Zufall, wie sich herausstellt. Die 8-seitige Gazette ist ein Produkt von Albers Pölking-Eiken und der Hamburger „Woche“, Auflage: 4.000, und hängt aus in den Cafés und Restaurants, wo „Pijao Colombia“, „Cerrado Brazil“, „Kefa Ethiopia“ und „Thika Kenya“ derzeit im Angebot sind – derzeit acht deutsche Städte.

„Friend of Coffee“ kann jeder werden, schöner wäre es allerdings, wenn er oder sie der „Aldisierung“ (Horx) entgegenwirken und sich künftig für die sortenreinen Sorten aus dem Hause Jacobs entscheiden würde. Da tut, siehe oben, Umerziehung not: „Seit zehn bis fünfzehn Jahren ist Wein zum Kulturgut geworden“, sagt Horx. Über den man sich definieren kann. Sind Sie ein Pinot Grigio-Typ oder gehören Sie zur Frascati-community? Warum soll das nicht auch mit dem Produkt Kaffee gehen, sagten sich die Marketing-Strategen bei Jacobs. Und übersehen großzügig alle Schandtaten, die sich das Gros der Kaffeetrinker – 90 Prozent der Deutschen sind welche – einfallen läßt, um die Stirn des verfeinerten Kaffeetrinkers in Runzeln zu legen: liebloses Maschinenfiltern, Wiederaufwärmen, stundenlanges Stehenlassen ... Im „Pumpenhaus“ sitzt die Journaille hingegen vor niedlichen gläsernen Single-Kaffeemaschinen, deren Kolben es – in ritualisierter Handbewegung – nach drei Minuten niederzudrücken gilt. Auf daß sich der „sanfte und weiche“ Brazil-Duft entfalte oder das „kräftige und rassige“ Ethiopia-Aroma.

Bei den Verbündeten, dritte Horx'sche Forderung, ist an die Gastronomie gedacht. Nach Rohmilchkäse-Auswahl und Dessert-Variation wird es heißen: Kaffee? Aber welchen? Und wieder müssen einsame Entscheidungen getroffen werden, und wieder outen sich alle, die jetzt nicht aus dem Stegreif mit den besten Lagen jonglieren können. Bringen Sie mir einen 95er Cerrado Brazil! In 14 Bremer Etablissements werden die neuen Sorten zu trinken sein, kurioserweise auch im Internet-Café in der Hohentorstraße, wo man die Anhänger des Authentic eigentlich nicht zu Hause wähnte. Kaufen kann man die neue Jacobs-Ware – weder Familien-, noch fun-Kaffee – unter anderem im besseren Bremer Einzelhandel und Warenhäusern.

Und Trendscout Matthias Horx zieht weiter; demnächst ist er zu einem Vortrag ins Atomkraftwerk eingeladen. Welches, weiß er gar nicht mehr genau. Wird er fürs gute Geld die Vorzüge der Atomkraft preisen? „Von wegen, die werden sich wundern.“

Alexander Musik

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