: Knorke, Kollege Fritsch -betr.: "Tarif nur noch für Genossen?", taz vom 3.1.1995
...was Du Dir da ausgedacht hast: Tarifverträge mit Sonderregelungen für Gewerkschaftsmitglieder. Vorerst nur „tarifliche Nebengebiete“ betreffend, aber aus Extrawürstchen können ja sehr schnell richtige Knacker werden. Hier ein bißchen Urlaubsgeld, dann ein paar vermögenswirksame Leistungen, später vielleicht ein Bonus für nicht durchgeführte Streiks oder auch ein paar schnelle Mark für notleidende Gewerkschaftsfunktionäre. Zusätzliche Tarifverhandlungen also, nach denen es vor allem im eigenen Portemonnaie klingelt, das stärkt ja auch die Motivation der Tarifkommission.
Und wie sie strömen, die bisher abseitsstehenden Kolleginnen und Kollegen, Schlange werden sie stehen und ihre Aufnahmeanträge abgeben wollen, daß es nur so eine Art hat. Nach jeder Tarifrunde mehr, wenn sich einmal herumgesprochen hat, daß nach Abzug „eines Pfennigs von jeder Mark“ unter dem Strich noch etwas übrigbleibt. Das ist politische Bewußtseinsbildung nach dem 624-Mark-Gesetz, so machen wir die Gewerkschaft stark!
„Trittbrettfahrer“, Kollege Bezirksvorsitzender, „Unorganisierte“ sind es also, an denen die Tarifpolitik „Schaden nimmt“. Weil die einfach mitkassieren, ohne zuvor die schwielige Faust im Arbeitskampf zu erheben. Und ich dachte immer, die Verträge werden mit den Arbeitgebern ausgehandelt, und Vorstöße zum Sozialabbau kämen vom Bund Deutscher Industrieller und seiner Regierung. Nun muß ich lernen, daß Lieschen und Rolfi Müller schuld sind, weil sie der Arbeiterbewegung (handaufhaltend) fern stehen.
Oder überlegst Du gerade, wer das Licht im Gewerkschaftshaus ausmachen muß, wenn das letzte Mitglied seinen Ausweis zurückgeschickt hat? Mußt Du schon die Heizung runterdrehen und schwächere Birnen einschrauben? Wird jetzt zum 15. d.M. am Besenbinderhof „Ele-mele-Muh“ gespielt, um die gewerkschaftlichen Funktionsposten sozialverträglich auszumarmeln?
Zum Stil und zum politischen Gehalt Deines Vorstoßes würde es passen. Aber dann doch bitte etwas mehr Konsequenz: In den öffentlichen Dienst sollten ausschließlich ÖTV-Mitglieder aufgenommen werden, ausnahmsweise auch DAG-Mitglieder. Beförderungen über BAT Va grundsätzlich nur für langjährig „Organisierte“ (und ab IIa auch in der Partei, damit die große Mutter auch gleich was davon hat). Überstunden, Sonderzulagen, Lohnerhöhungen? Natürlich nur, wenn ein Prozent gleich abgeführt wird. Rechnet sich einfach, braucht man das Komma nur zwei Stellen nach links zu setzen. Das ist dort, wo Du herkommst, nicht daß Du es durcheinander kriegst. Und zwischendurch mal ein Video mit Marlon Brando einschieben, den Streifen aus dem New Yorker Hafen. Da kannst Du über moderne Methoden der Mitgliederwerbung noch eine Menge lernen. Und nicht vergessen: Am 1. Mai mit Elbsegler in der ersten Reihe gehen, wegen der Wirkung auf die Öffentlichkeit und so.
Dieser Tip ist übrigens umsonst.
Hans-Günter Meyer-Thompson
(ÖTV-Mitglied seit 1976,
Stellv. Vorsitzender des
Personalrats in der
Ärztekammer Hamburg)
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