: Eine Steinbrücke in die Dritte Welt
In einer Berliner Waldorfschule haben Schüler ein eigenes kleines Unternehmen gegründet. Beim Handel mit Steinen sammeln sie Erfahrungen und lernen viel über die Weltwirtschaft ■ Von Torsten Teichmann
Hannes umfaßt mit seiner linken Hand einen weißen Bergkristall, mit der rechten tippt er auf die Spitze. „Die sind wichtig für Esoteriker“, sagt der 18jährige. Aber daran ist er weniger interessiert.
Hannes handelt mit den Steinen. Als Unternehmer. Seit Herbst vergangenen Jahres ist er mit vierzehn anderen Schülern an der Waldorfschule im Märkischen Viertel Teilhaber einer Mineralienhandelsgesellschaft. Sie kaufen Mineralien beim Großhändler im Hunsrück, wiegen und waschen sie. Auf den alljährlichen Schulbasaren wollen sie die Steine schließlich verkaufen.
Ihr kleines Unternehmen heißt „Steinbrücke“, weil die Gewinne Kindern in der Dritten Welt zugute kommen. Kindern in Madagaskar beispielsweise, einem Land, aus dem viele Mineralien stammen, erklärt Sebastian.
Die Idee, eine Handelsgesellschaft zu gründen, hatte ihr Geographielehrer Michael Benner. Durch dieses Projekt bekämen die Jugendlichen einen ersten Einblick in Weltwirtschaftsfragen und die Probleme der Entwicklungsländer, so Benner. „Das heißt allerdings nicht“, sagt der Geographielehrer, „daß jeder Mensch schon als Schüler wissen muß, wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts arbeitet.“ Noch ist die Gesellschaft klein, aber in fünf Jahren würden sie vielleicht von der Konkurrenz in Berlin beachtet, hofft Benner.
Alle Schüler arbeiten in ihrer Freizeit freiwillig für den Mineralienhandel. Sie sind gleichberechtigte Gesellschafter mit je 50 Mark Einsatz. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, auch wenn Benner das Startkapital vorgeschossen hat – zu günstigen Zinsen, versteht sich. „Wir hoffen, im nächsten Jahr schon ohne Fremdkapital arbeiten zu können“, sagt Anna.
Die 18jährige möchte später einmal Wirschaftsrecht studieren. „Die Arbeit hier gibt mir einen ersten Einblick“, sagt sie. Alle Gesellschafter sollen bei ihrem Ausscheiden aus der Firma – also zum Abitur – ein Zeugnis über ihre Arbeit erhalten. Anna hofft, so ihre Chancen für die Ausbildung zu verbessern.
Dabei steht für die Schülerin nicht die Wirtschaftstheorie im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, selbst aktiv mitmischen zu können. Damit vor dem Auspreisen die blauviolette Farbe richtig zum Vorschein kommt, muß Anna eine Palette Buntkiesel am Wasserbecken im Physiklabor noch einmal waschen. Im nächsten Jahr, plant Benna, soll im Unterricht parallel das Thema Buchhaltung behandelt werden, um sein Projekt theoretisch zu unterstützen.
Anna wiegt eine Geode. Im Inneren des Steins haben sich Minerale gebildet – außen glatte violette Ringe, in der Mitte gläserne Kristalle. Warum ausgerechnet mit Steinen handeln, einem toten Gegenstand? „Steine leben“, sagt Anna. Und Hannes ergänzt: „Früher dachte ich auch, Steine sind grau, damit baut man Häuser.“ Dabei schaut er gebannt auf das violett-weiß schimmernde Innenleben der Geode. „Aber wenn sich in den Facetten das Licht spiegelt – das ist einmalig.“
Der Physikraum der Waldorfschule ist übersät mit Achatscheiben, Buntkupferkies, Bergkristallen und Selenitrosen. Sie werden gezählt und gewogen, um letztlich den Preis zu errechnen. „Ich kann sie nicht zu teuer machen, sonst kaufen sich die Schüler lieber zwei CDs für den Preis“, überlegt Anna, bevor sie einen kleinen weißen Punkt auf den Stein klebt: 36 Mark.
Ein Drittel des Preises haben die Schüler beim Großhändler bezahlt. Ein weiteres Drittel bekämen die Schulen, die Mineralien auf ihrem Basar verkaufen, erklärt Lena. Der Rest ist der Vorgewinn der Gesellschaft, von dem die Nebenkosten für Transport oder Verpackungen abgehen. Das Geld, das übrig bleibt, wollen die Schüler an „Zaza Faly“ überweisen, ein Projekt zweier Berliner Studenten, das Straßenkinder in Madagaskar unterstützt.
Drei Wochen lang haben sich die Schüler mit der Dritten Welt beschäftigt. Dabei haben sie auch darüber diskutiert, daß der Gewinn ihrer Handelsgesellschaft nur so hoch ist, weil die Arbeiter in Madagaskar, China oder Indien lausig bezahlt werden. Mit ihren Überweisungen wollten sie das ein wenig ausgleichen, erklärt Markus. „Das ist besser, als wenn ich irgendwo eine Spende abdrücke.“ Doch am meisten Spaß macht ihm die Arbeit mit seinem Mitschülern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen