: Hin zur Phytotherapie
■ Bremer Symposium diskutierte die neue ganzheitliche Klinik für Bremen / „Anschubfinanzierung“ über die EU ?
Im Bremer Zentrum prallten vergangenes Wochenende zwei Welten aufeinander. Während auf dem Bremer Marktplatz lautstark gegen die Kürzung von Geldern für Sportvereine demonstriert wurde, ging es im Plenarsaal der Bürgerschaft deutlich ruhiger zu. Keine knallharte Politik, sondern anthroposophisches Gedankengut erfüllte die Gemäuer. Stellwände zeigten Skizzen und Bilder von Maltherapien. Zudem dominierte die Anzahl der Frauen über die der Männer. Ungewöhnlich, zumindest für die Bremer Bürgerschaft.
Im Mittelpunkt eines Symposiums stand die Idee einer Klinik, die Bremer PatientInnen nach ganzheitlichen und naturkundlichen Methoden betreuen soll. Homöopathie, Medizin nach anthroposophischen Gesichtspunkten und die traditionelle chinesische Medizin bilden die Eckpfeiler. Das Thema stieß auf reges Interesse. 400 ZuhörerInnen besuchten die Vorträge, Arbeitsgruppen und Workshops. Der erste Tag war ausverkauft.
Veranstaltet wurde die Tagung vom Förderverein „Mensch im Mittelpunkt der Medizin“. (Vgl. auch taz vom 11./12.5.) Bereits seit 1993 beschäftigen sich zwei Gründungsmitglieder, die Kunsttherapeutin Elisabeth Holtappels und die Gesundheitspolitikerin Christine Bernbacher mit der Realisierung eines anderen Typ Krankenhauses für Bremen. Vorbilder bestehen bereits in Hamburg-Rissen, Herdecke und Berlin. Wie dort ist auch in Bremen zunächst eine ganzheitliche Abteilung geplant, die an eine bestehende Klinik angeschlossen sein soll.
Über die Erfahrung in der naturheilkundlichen Abteilung des Krankenhauses Berlin/Moabit berichtete die dortige Oberärztin Frau Dr. Kühn. Jährlich werden dort rund 2000 Patientenlnnen prä- und poststationär behandelt. Die Wartelisten für die ganzheitliche Behandlung sind lang. Das Angebot reicht von Ernährungs-, über Phyto- (Pflanzen-) bis zur Kunsttherapie. Um die Vielzahl an Behandlungsmethoden überhaupt realisieren zu können, arbeiten viele Mitarbeiter und StudentInnen ehrenamtlich. Die Zusammenarbeit mit den Internisten der schulmedizinischen Abteilung im gleichen Gebäude beschreibt Frau Dr. Kühn als „kollegial, aber nicht sehr kooperativ“.
Wie das Bremer Projekt Naturheilklinik finanziert werden soll, ist noch ungelöst. Christine Bernbacher, Gründungsmitglied der Initiative, weiß selbst nicht, wieviel der Verein durch Spenden und Mitgliedsbeiträge bislang einnehmen konnte. Man hofft auf Unterstützung von seiten der Politik und der Krankenkassen. Erst 1998, wenn der nächste Bettenbedarfsplan für die Hansestadt verabschiedet wird, kann diese konkret werden. Das ganzheitliche Krankenhaus benötigt rund 60 Betten. Ein kühnes Unterfangen, wenn man bedenkt, daß innerhalb der letzten zwei Jahre 750 Bremer Krankenhausbetten abgebaut wurden. Christine Bernbacher sieht trotzdem eine Chance: Ihrer Meinung nach sind immer mehr Krankenhäuser bestrebt, attraktive Zusatzangebote – wie die Zusammenarbeit mit einer ganzheitlichen medizinischen Abteilung im eigenen Haus – mit ins Programm aufzunehmen.
Geld regiert auch die Naturheilkunde. Deshalb wird für das ganzheitliche Projekt langfristig in Bremen eine Arbeitsgruppe Ökonomie mit ehrenamtlichen Wirtschaftsberatern gebildet. Konkrete Zahlen dienen dann als Vorlage für den Bremer Senat und in letzter Instanz auch für Gesundheitsmininster Seehofer.
Auch die Krankenkassen können erst auf dieser Grundlage das Projekt bewilligen. Sie haben bereits reagiert und stellten die Naturheilkunde auf den Prüfstand. Fördervereinsmitglied Christine Bernbacher ist von der Realisierung des Objekts auf Bremer Boden überzeugt. Als Rechstform könnte sie sich ein System vorstellen, in dem hochmotivierte MitarbeiterInnen zugleich Aktionäre wären, wie es in der geriatrischen Klinik in Bremen-Vegesack bereits erfoglreich praktiziert wird.
Gesundheitspolitikerin Bernbacher denkt auch an eine Kooperation mit einem Krankenhaus in Osteuropa. Eine „Anschubfinanzierung“ der Europäischen Union , die entsprechende Zusammenschlüsse fördert, könnte für Bremen erstes Startgeld bedeuten. Bettina Seitz
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