: Die Umwelt-APO der Postmoderne
Religiös inspiriert. International organisiert. Medial glänzend inszeniert. Und neuerdings sehr selbstkritisch. Greenpeace begeht seinen 25. Geburtstag mit einem Lese- und Bilderbuch von überraschend nachdenklicher Transparenz ■ Von Thomas Worm
Am Anfang war die Aktion. Nicht nur als politisches Ausdrucksprinzip, sondern auch als religiöses. Greenpeace, schreibt Organisationschef Thilo Bode zum 25. Geburtstag, speiste sich von Beginn an auch aus christlichen Quellen. Gründungsmitglied Irving Stowe etwa gehörte der Glaubensgemeinschaft der Quäker an. Und von dieser stark spirituell geprägten „Friedenskirche“ stammt jene Erfolgsmaxime, die den Regenbogen zum Markenzeichen des internationalen Umweltgewissens werden ließ: „Vor Ort Zeugnis ablegen“. Bürgerlichen Ungehorsam demonstrieren, unter Einsatz von Körper und Gesundheit – eine Konfession.
So war es am 15. September 1971. Der gecharterte Kutter Phyllis Cormack läuft mit einer Handvoll Aktivisten zur Alaska-Insel Amchitka aus, um dort einen Atomversuch der USA zu verhindern. Zwar bringt die Küstenwache das Boot auf, bevor es die Testinsel erreicht, doch die Presse berichtet ausführlich. Im Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit entsteht ein Bild: mit Tatort und Tätern und jenen, die ihnen das Handwerk legen wollen. Das handgreifliche Konfliktschema funktioniert. Nach dem ersten Atomversuch brechen Militärs und Politiker die Serie ab – die anschwellende Protestwelle zwingt sie dazu.
Das daumendicke Greenpeacebuch, der Einband in zartem Birkengrün, zeigt Akteurinnen und Akteure, verletztlich und kraftvoll zugleich. Fünf bärtige Männer, ein magerer Arm zur Faust gereckt, Victory-Zeichen und ein übergroßes handgemaltes Transparent – Greenpeace 1971 als Embryo. Eine Erinnerungsgalerie ohne Heroenkult. Das verwundert zunächst. Denn zu bekannt scheinen viele „Keyvisuals“ vom Kampf des leuchtenden David gegen den schmierigen Goliath. Das Inventar der Erkennungsbilder ist allen vertraut, vielleicht zu vertraut: Schiffsrümpfe, Schlauchboote, Wasserkanonen. Sie fehlen auch nicht. Doch werden ihre statischen Schwarzweiß-Aussagen über selbstlosen Mut und rücksichtslose Profitgier immer wieder unterlaufen, aufgeweicht. Ein weinender Aktivist vor dem Kadaver eines Robbenbabies, die zusammengekettete Hand eines Blockierers mit dem angebissenen Apfel. Wie an vielen Stellen im Buch zeigt sich Greenpeace hier nachdenklich. So beschäftigt sich denn auch ein Beitrag der Bildredakteurin Conny Böttger mit möglichen Konsequenzen aus der „ermüdenden Wohlbekanntheit“ der Selbstdarstellung, mit einer neuen Bildersprache, die ihren „belehrenden und autoritativen Gestus“ aufgibt.
Immerhin konnte die Bildmaschine Greenpeace, die Presse und Funk um „das Genre des Umwelt- Zweikampfes“ bereicherte, mehr Erfolge verzeichnen als irgendeine andere internationale Umweltschutzorganisation. Chlorfreies Tiefdruckpapier und FCKW-freie Kühlschränke sind hierzulande inzwischen ebenso selbstverständlich wie uneheliche Lebensgemeinschaften.
Greenpeace hat das verlängerte Walfang-Moratorium, den Weltpark Antarktis oder das Verbot der Dünnsäureverklappung von außerhalb der Parlamente durchgesetzt, ohne Parteienmandat. Eine Umwelt-APO der Postmoderne. Doch nicht Steine, sondern Schornsteine transportierten ihre Botschaften. Wie 1981 bei den ersten Besetzern von Boehringer Hamburg im legendären Gasmaskenlook.
Das Geburtstagsbuch gewährt Einblicke in die Kampagnenwerkstatt und liefert Anekdotisches aus dem Alltag des Umweltbetriebes. „Kacken Kängeruhbabies in den Beutel?“ wollen da junge Briefeschreiber und -schreiberinnen von jenen wissen, die unterwegs sind, „um brutale Naturgangster zu fangen “ (Karin aus Heiden). Daß 91 Prozent aller Spenden unter 500 Mark betragen, jedoch Erbschaften wachsende Bedeutung haben, berichten die Autoren ebenso wie von der „arroganten“ Wessi-Plakataktion 1987 in der DDR gegen die Elbverschmutzung, die völlig am ökologischen Arbeitskreis Dresden vorbei organisiert wurde.
Ein Beispiel über minimale Mittel und maximale Wirkungen: Nur 27.000 Mark plus Mehrwertsteuer kostete der Bau der ersten zehn Greenfreeze-Prototypen des sächsischen Kühlschrank-Herstellers Foron. „Eine kleine Investition, die die Kältetechnik-Welt nachhaltig erschüttern sollte“, wie Klima-Campaigner Wolfgang Lohbeck süffisant anmerkt.
Dennoch, die Festtagsstimmung hält sich in Grenzen. Denn mit dem Buch stellt sich Deutschlands größte Umwelt-Spendenorganisation auf den „Prüfstand“, so jedenfalls der Klappentext. Sensationelle Enthüllungen braucht niemand zu erwarten. Doch ist etwa das Eingeständis aufschlußreich, die auf Medienwirkung fixierte Erfinderin des Umwelt-Events müsse sich seit dem Fernsehspektakel vor der Atomtestinsel Mururoa „zum ersten Mal in ihrer Geschichte wirklich vor Vereinnahmung schützen“.
Noch deutlicher wird die selbstkritische Bilanz im Abschnitt über Ökorassismus. Beim „Kampf für eine lebenswerte Umwelt“ habe die Organisation es bisher versäumt, unmißverständlich klarzumachen, daß dies Anliegen für alle Nationen gelte und nicht nur fürs eigene Land. Anderenfalls sei nicht zu erklären, warum so viele Greenpeace-Förderer die lebenswerte Umwelt sich nur für „ihr Volk“ wünschten.
Und die Zukunft von Greenpeace? In Thilo Bodes „Wendepunkt“-Thesen entsteht das Bild einer effizienten Unternehmenskultur, die mit modernstem Qualitätsmonitoring vor allem gegen das Artensterben vorgeht. Dabei komme es darauf an, die Schlagkraft der „nordlastigen“ Organisation im Süden zu erhöhen. Und in China und Japan gilt es an die Kulturbesonderheiten dieser Länder anzuknüpfen. Marktdruckkampagnen wie jetzt zu Solarenergienanlagen sollen träge Branchengiganten auf Trab bringen, Konzepte wie die ökologische Steuerreform Wege zum nachhaltigen Wirtschaften weisen. Kooperation und Konfrontation ist angesagt. Bei alledem will Bode für Deutschland die strikte Parteienneutralität, auch wenn in Regenwaldländern wie in Brasilien die Forderung nach einer Landreform Greenpeace in die Nähe linker Parteien rückt.
Und die Wahrnehmungsspolitik. Schon überlegt GP-Aufsichtsratsprecher Wolfgang Sachs, was passiert, wenn die Fernsehzuschauer inszenierte Öko-Duelle satt haben. Nicht weiter schlimm meint er, denn das „Zuviel“ an Simulation erzeuge ein neues Verlangen nach Echtheit. Vor Ort Zeugnis ablegen – die seelische Batterie von Greenpeace basiere eben nicht auf Medienspannung. Natur beginnt bekanntlich im Kopf. Und darum Seite für Seite immer wieder Menschen: Atommanager, Hafenblockierer, Kinder. Ganz beiläufig macht sich beim Umblättern der leise Schauder bemerkbar, über die Macht des Veränderns zu verfügen.
„Das Greenpeace Buch. Reflexionen und Aktionen“. Hrsg. v. Greenpeace, C. H. Beck Verlag München 1996, 312 S., 39,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen