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Keine Zuflucht für Afrikas Boat people

Ghana will das Flüchtlingsschiff mit mehreren tausend Liberianern nach Monrovia zurückschicken. An Bord: Zivilisten, Milizionäre und Ecomog-Soldaten. Weitere Schiffe sind unterwegs  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Als sie vor neun Tagen in Liberias Hauptstadt Monrovia ihr Schiff bestiegen, sangen sie stolz die liberianische Nationalhymne und freuten sich auf das rettende Ghana, vier Tagesreisen entfernt. Nun sitzen die drei- bis viertausend Flüchtlinge aus Liberia schon mehr als doppelt so lange auf dem nigerianischen Frachter „Bulk Challenge“ fest, ohne ausreichende Lebensmittel oder medizinische Versorgung. Ghana ist verlockend nahe, läßt sie aber nicht herein. Und weiterfahren können sie nicht, denn das Schiff ist so überladen und leck, daß es eine weitere Fahrt auf hoher See wohl nicht mehr unbeschadet überstehen würde.

„Wir wollen keine weiteren Flüchtlinge. Wir haben genug Flüchtlinge“, sagte Ghanas Außenminister Obed Asamoah am Samstag und begründete damit, wieso die „Bulk Challenge“ ihre menschliche Fracht nicht abladen dürfe. Zweimal nahm die „Bulk Challenge“ nach einem vergeblichen Zwischenstopp in der Elfenbeinküste – die nur 50 Kinder und eine alte Frau aufnahm – Kurs auf Takoradi, Ghanas zweitwichtigsten Handelshafen. Zweimal mußte sie wieder kehrtmachen. Demonstranten im Hafen riefen: „Rebels Go Home!“; Ghanas Marine wurde aufgeboten, um das Ankern des Flüchtlingsschiffes vor der Küste zu verhindern.

Erst gestern durfte die „Bulk Challenge“ im Hafen von Takoradi festmachen und wurde versorgt. „Sie haben Treibstoff, Arzneien und gute Lebensmittel erhalten“, sagte gestern der örtliche Agent der Reederei. Am Nachmittag begannen sogar einzelne Flüchtlinge, das Schiff zu verlassen und sich in Zelte im Hafen zu begeben. Aber schon in San Pedro in der Elfenbeinküste hatten Frauen und Kinder zwecks medizinischer Versorgung absteigen dürfen – nur um nach zwei Tagen wieder auf das Schiff geschickt und zur Weiterfahrt gezwungen zu werden.

Daß die Flüchtlinge den mehrfach geäußerten Wunsch Ghanas erfüllen und fröhlich wieder nach Liberia zurückfahren, ist wenig wahrscheinlich. „Die Menschen wollen nicht nach Liberia zurück“, sagte ein Sprecher der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, die mit einem eigenen Boot den Flüchtlingen hinterherfährt. Ruhr, Lungenentzündung und Fiebererkrankungen grassieren auf dem Schiff, eine Frau ist gestorben.

Außerdem sind die Passagiere offenbar ein Mikrokosmos des liberianischen Bürgerkrieges. Laut „Ärzte ohne Grenzen“ sind 125 von ihnen „Militärpersonal“, also Milizionäre. Dazu gibt es 700 Ghanaer und 600 Guineer. Ferner sitzen auf dem Schiff 100 bis 200 Angehörige der westafrikanischen „Ecomog“-Friedenstruppe, die eigentlich den Frieden in Liberia bewahren soll. Die Ecomog-Soldaten wollen vermutlich nach Hause.

Die meisten Bootsinsassen sind jedoch einfach liberianische Zivilisten, die alles verloren haben und die niemand will. Nicht nur auf der „Bulk Challenge“ sind solche Kriegsopfer zu finden. Ein weiteres Schiff mit 700 Flüchtlingen liegt im Hafen von Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sind derzeit 20.000 Liberianer auf dem Meer unterwegs.

Insgesamt leben zur Zeit etwa 750.000 Liberianer als Flüchtlinge im Ausland, davon nach Angaben des UNHCR 410.000 in Guinea und 305.000 in der Elfenbeinküste. Zumeist sind es Bauern, die einfach vor dem Krieg auf dem Landweg weiterzogen und dabei irgendwann die Grenze in ein Nachbarland überquerten. Die spontane Aufnahme solcher Wanderer durch Dorfgesellschaften, die ihre Staatsgrenzen weitestgehend ignorieren, ist von den Regierungen kaum zu kontrollieren. Daß nun auch Städter aus Liberia fliehen und in andere Städte ziehen wollen, bietet hingegen staatlichen Behörden in den Nachbarländern eine geradezu ideale Chance, mittels Abschottung ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen.

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