Hysterie nach Vietnamesen-Morden

■ In Marzahn bieten sich Mieter unverhohlen als Spitzel an

Seit den Morden an sechs Vietnamesen in einem 18stöckigen Hochhaus in Marzahn steht bei der Ausländerbeauftragten des Bezirkes das Telefon nicht mehr still. Die meisten Anrufer sind Mieter, die Vietnamesen als Nachbarn haben. „Von der Forderung, alle Vietnamesen auszuweisen, bis hin zu Hilfsangeboten war alles vertreten“, berichtete die Ausländerbeauftragte Elena Marburg. Manche Anrufer hätten sogar ganz unverhohlen angeboten, ihre vietnamesischen Nachbarschaft zu denunzieren, „wenn sich dort mal wieder das halbe Mekongdelta versammelt“.

Die Ausländerbeauftragte will mit einem offenen Brief in nächsten Ausgabe der Marzahner Bezirkszeitung antworten. „Ich werde darum bitten, mich bei meinen Integrationsbemühungen zu unterstützen und die soziale Kontrolle zu verstärken.“ Wenn die Mieter merkten, daß ihre vietnamesischen Nachbarn von Landsleuten aus der Wohnung verdrängt würden, sollten sie dem Hausmeister Bescheid geben. Dies solle aber keine Aufforderung zur Bespitzelung sein, sagte Marburg. Die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), kommentierte das Ausmaß der Gewalt gestern mit den Worten: „Da stockt einem der Atem.“

Von den Tätern, die die sechs gefesselten Vietnamesen am Freitag mit Kopfschüssen regelrecht exekutiert hatten, fehlt jede Spur. Die Polizei schließt nicht aus, daß sie sich ins Ausland abgesetzt haben. Ein seit zehn Jahren in Berlin lebender 38jähriger Vietnamese, der anonym bleiben möchte, erklärte gestern gegenüber der taz, die Brutalität seiner Landsleute sei Ausdruck für die Verrohung der Gesellschaft in Folge des langen Vietnamkrieges. Nach den entbehrungsreichen Zeiten des Kommunismus sei die Bevölkerung 1987 durch die Öffnung des Landes mit den Verlockungen des Westens konfrontiert worden. Seither zähle nur eins: am Wohlstand teilzuhaben. Doch nur die wenigsten gelangten nach Westeuropa. So könnten sich die Kosten für die Schlepperdienste nach Deutschland meist nur Angehörige der Oberschicht leisten. Diese seien vor allem die Kinder und Verwandten der Funktionäre. All das gehe nur mit Wissen und Unterstützung des „korrupten“ vietnamesischen Außen- und Innenministeriums. Die Vorgehensweise der Banden lasse darauf schließen, daß die Täter in Vietnam in Spezialkommandos der Armee ausgebildet worden seien. Einige seien in ihrer Kindheit oder Jugend wohl schon Untergrundkämpfer der Vietcong gewesen. Plutonia Plarre