: Ende einer Dienstjagd
■ Wie der Chef der US-Marine, Admiral Boorda, in den Selbstmord getrieben wurde
Berlin (taz) – Ohne Ehre ist ein Soldat nichts. Das dachte sich wohl auch Admiral Jeremy M. Boorda, höchster Offizier der US-Marine, als er am Donnerstag mittag sein Büro im Pentagon verließ. Er fuhr nach Hause, stellte sich in den Hof, preßte eine Pistole an seine Brust und drückte ab. Um halb drei stellten Ärzte seinen Tod fest – zu genau dem Zeitpunkt, als ein Journalistenteam der Zeitschrift Newsweek auftauchen wollte, um ihn nach seinen Orden auszufragen.
Die Fragen der Reporter waren für den Admiral offenbar zuviel: Warum trug Boorda an zweien seiner sechzehn Orden sogenannte „V pins“ – bronzene „Tapferkeitsnadeln“ (V steht für das englische valour), die für im Kampf erworbene Verdienste vergeben werden –, obwohl in den Urkunden für die Orden, die er für seinen Dienst auf US-Kriegsschiffen vor der Küste Vietnams in den Jahren 1965 und 1973 erhielt, von keinen solchen Verdiensten und daher auch von keinen Nadeln die Rede ist? Trug er die Nadeln zu Unrecht?
Natürlich hätte Boorda seinerseits auch Fragen stellen können. Wieso kommt jemand auf die Idee, an den Orden eines Admirals zu zweifeln? Es war ein auf Militärisches spezialisierter Nachrichtendienst, der National Security News Service (NSNS), der unter Inanspruchnahme des US-amerikanischen Datenfreigabegesetzes diese Recherche anstellte. NSNS-Journalist Roger Charles, selbst ein ehemaliger Marineoffizier, fand in der Akte Boorda nichts über, zum Beispiel, mutiges Verhalten unter feindlichem Beschuß und kontaktierte Newsweek sowie den Fernsehsender ABC.
Als Boorda davon erfuhr, nahm er die Nadeln sofort ab. Aber Ehrlichkeit rettet Ehre nicht. Eher stürzte ihn dieser Schritt ins Verderben. Warum sonst hätte ein anonymer Leserbriefschreiber diese Woche in der Marinezeitschrift Navy Times Boorda zum Rücktritt aufgefordert, da er den Respekt seiner Kollegen verloren hätte? „Marinesprecher konnten nicht erklären“, hieß es gestern im Bericht der Washington Post, „warum Boorda die Nadeln trug und warum er damit aufhörte“. Roger Charles drückte es deutlicher aus: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie er den anderen Kommandeuren hätte gegenübertreten können, nachdem die Geschichte in die Öffentlichkeit kam.“
Boordas Karriere sollte also enden. Aber warum? Bronzenadeln mögen als Anlaß herhalten – ein Grund sind sie nicht. Eher noch wäre das die Art von Unmut, die ein ehemaliger Marinesekretär, James H. Webb III., im April in einer Rede vor der Marineakademie ausdrückte, als er – natürlich ohne Namensnennung – die Marineführung bezichtigte, „die ganze Befehlskette hinunter die Moral zu töten“, indem sie „politische Korrektheit“ praktiziere und sich „Politikern anbiedert“, anstatt Kollegen mit Problemen zu schützen. Probleme haben die hohen Offiziere der Marine genug. So mußte Admiral Stanley Arthur, auserkoren als Kommandant der Pazifikflotte, auf politischen Druck den Ruhestand antreten, weil er auf seiner Pilotenschule keine Pilotinnen haben wollte. Daß Boorda – der sein Amt 1991 mitten in einer Kontroverse über die Behandlung von Frauen in der Marine antrat – das nicht verhinderte, erzürnte viele Militärs. Dazu kommt Zukunftsangst: Die Kriegsmarine mit ihren großen unbeweglichen Flugzeugträgern verliert im Zeitalter kleiner flexibler Krisenreaktionskräfte an Bedeutung. Und ausgerechnet dann wird sie zum ersten Mal in ihrer fast 200jährigen Geschichte mit Boorda von einem ehemaligen Wehrpflichtigen geführt, also von einem Mann niederen Standes, den vor allem die unteren Ränge liebten und der sich „Volksadmiral“ nennen ließ...
Die Jagd ist zu Ende. Was Boorda am meisten quälte, wird man nicht erfahren; Boordas Abschiedsbriefe – einer an die Marine, einer an die Familie – bleiben geheim. Wie erinnert sich ein Freund? „Das einzige Anzeichen von Ärger bei ihm war ein hörbarer Seufzer.“ Dominic Johnson
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