: „Der Apparat mußte was vorweisen“
■ Wegen Beteiligung an der Herstellung der linken Zeitschrift radikal saßen der Rendsburger Ralf Milbrandt und der Lübecker Andreas Ehresmann sechs Monate in U-Haft: Ein Gespräch
taz: Ihr seid, wie auch zwei weitere Beschuldigte des radikal-Verfahrens, gegen Kaution wieder auf freiem Fuß. Euch wird vorgeworfen, als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung in der radikal für terroristische Vereinigungen geworben zu haben. Wie ist der Stand des Ermittlungsverfahrens?
Milbrandt: Aus den Unterlagen der Bundesanwaltschaft (BAW) läßt sich ablesen, wie das Verfahren entstanden ist. Nachdem im Rahmen des längsten bislang bekanntgewordenen Lauschangriffs in der BRD – sieben Monate wurde ein Ferienhaus in der Eifel abgehört – im September 1993 ein Treffen von sieben Personen aufgezeichnet wurde, die angeblich an der Herstellung der radikal beteiligt waren, hat das Bundeskriminalamt (BKA) begonnen, die Personen, die in dem Haus angeblich festgestellt wurden, geheimdienstlich zu observieren. Parallel dazu wurde das abgehörte Gespräch analysiert und versucht, daraus eine Struktur der kriminellen Vereinigung radikal zu entwickeln. In diesen Rahmen sind viele Personen aus dem Umfeld der sieben Leute, die sie abgehört haben wollen, eingeordnet worden.
Ehresmann: Insgesamt etwa 30 Personen. Über Einzelne aus unserem Bekanntenkreis wurden umfangreiche Dossiers erstellt. Der gesamten Struktur wird dabei ein Höchstmaß an Konspirativität unterstellt.
Milbrandt: Klar wird aus den Akten, daß die Ermittlungen ganz gezielt darauf ausgerichtet wurden zu belegen, daß die radikal Querverbindungen zu sämtlichen militanten Gruppen in der BRD hat.
Ehresmann: Schon der Kontakt zu ehemaligen RAF-Gefangenen dient als Beleg für eine aktive Unterstützung terroristischer Vereinigungen.
Ist Euch ein Verfahren bekannt, bei dem mit vergleichbarem Aufwand ermittelt wurde?
Milbrandt: Der Anfang des Verfahrens ist kurz nach Bad Kleinen gewesen. Der Apparat mußte was vorweisen. Wir sind gespannt, was in der Anklageschrift als formuliertes Ziel dieser angeblichen kriminellen Vereinigung stehen wird. Aus den Akten liest sich das im Moment so, daß wir eine Druckschrift mit dem erklärten Ziel gemacht haben sollen, für eine terroristische Vereinigung zu werben. Die BAW bescheinigt einigen radikal-Artikeln einen strafbaren Inhalt und zieht daraus den Schluß, daß der gesamte Inhalt strafbar ist.
Ehresmann: Wenn sie damit durchkommen, können sie jedes Stadtteilblatt oder Szene-Magazin, das mehr als einmal eine Erklärung militanter Gruppen dokumentiert, problemlos kriminalisieren. Innenminister Kanther hat die damaligen Razzien ja selbst als präventiven Schlag gegen die linke Szene bezeichnet. Doch dieser Einschüchterungsversuch ist nicht aufgegangen: Durch die Solidaritätsbewegung haben sich viele Leute neu politisiert, und verschiedene linke politische Gruppen haben sich erstmals wieder an einen Tisch gesetzt. Es war schon erstaunlich, wie viele Menschen im Dezember in Hamburg auch für die Inhalte der radikal auf die Straße gegangen sind.
Wie hat Euch die Haft verändert?
Milbrandt: Es wäre Quatsch zu sagen: Das habe ich so einfach weggesteckt. Durch das halbe Jahr, in dem ich von der Bildfläche verschwunden war, wurde viel von meinem Leben zerstört. Durch die Solidarität von draußen konnte ich mich aber immer wieder aufbauen. Zu wissen, du bist ein halbes Jahr allein und kommst da nicht gebrochen raus, das stärkt dich auch.
Ehresmann: Wir haben gelernt, daß Knast kein schwarzes Loch ist, sondern daß man darin politisch und sozial überleben kann. Ich kann meine Identität behalten und auch da drin was machen, etwa mich an einem Hungerstreik beteiligen. Mir ist deutlich geworden, daß eine radikale Opposition zwangsläufig zu Repressionen führt, an deren Ende auch Knast stehen kann. Damit sollten sich alle, die radikale Politik machen, auseinandersetzen.
Fragen: Marco Carini
Heute um 19 Uhr findet im Hörsaal M des Uni-Hauptgebäudes unter Beteiligung der beiden Beschuldigten und zweier JuristInnen die Veranstaltung „Freier fahnden mit § 129 a“ statt.
Siehe auch Bericht auf Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen