: Die Straße ist breit, aber deine Augen sind rot Von Ralf Sotscheck
Das kann man nur unter Alkoholeinfluß ertragen. Doch dann macht es sogar richtig Spaß. Wir waren am Samstag mit einer Kiste Wein zum Eurosong-Fest bei Freunden in Nord-Dublin angerückt, und das war auch notwendig.
Das musikalische Niveau schien noch niedriger als in den vergangenen Jahren. Und man hat die Iren wieder mal hereingelegt: Sie sind die einzigen, die das Kampfsingen ernst nehmen und gewannen zum vierten Mal in fünf Jahren. Nun muß der Staatssender RTE erneut sieben Millionen Mark ausspucken, um das Spektakel 1997 zu veranstalten.
Belgien ging ganz auf Nummer sicher, um nicht zu gewinnen: Das Lied fing recht melodisch an, doch dann begann die als Vogel Strauß verkleidete Sängerin aus heiterem Himmel zu kreischen, so daß Anne fast die Flasche Wein aus der Hand gefallen wäre. Der blinde Österreicher versuchte es mit einem Alpen-Gospelsong wie bei einer Weihnachtsfeier von Pater Leppich: „Weil's da guat got.“ Nein, ging es nicht.
Dann kam die Griechin mit tiefem Dekolleté, aber ein Jüngling im durchsichtigen Duschvorhang stahl ihr die Show und grapschte sie von hinten an. Unser schwuler Freund Hubert war hellauf begeistert. Die irische Gewinnerin Eimear Quinn sang eine Oktave zu hoch und schnappte dabei ständig nach Luft, daß einem angst und bange wurde. Komponist Brendan Graham bekam als Trophäe ein Torfbrikett in einem Käfig.
Doch schlimmer als die Beiträge war das Moderatorengespann: Ingvild, die Washington- Korrespondentin mit mieserablem Englisch und einer Stimme, die Untote zurück ins Grab treibt, sowie der dämliche Morten, der zum Schluß selbst ein Lied sang: „Die Straße ist breit, aber deine Augen sind rot.“ Während der Abstimmung stahl er dem blinden Österreicher das Handy und brüllte seiner Mutter ins Ohr. Norwegischer Humor?
Die Filmclips zur Einstimmung auf das nächste Lied waren auch nicht schlecht: Die Teilnehmer mußten andauernd irgendwelche Meerestiere küssen – eine Schildkröte, eine Unke und einen nassen Lachs. Es war derselbe Fisch, der schon im vorigen Jahr in irischen Werbefilmchen aufgetreten war. Man erkannte ihn an seiner Badehose. Er soll inzwischen in die Schauspielergewerkschaft eingetreten sein. Jedenfalls war er der einzige Profi unter lauter Pfeifen.
Vor der Punktwertung setzten wir fünfzig Pence auf unsere Favoriten. Hubert wettete natürlich auf Griechenland, weil er hoffte, den Knaben im Plastikumhang bei der Siegerehrung wiederzusehen. Kerstin, die sich gerade mit Chianti vergnügte, setzte auf Italien, das gar nicht mitgemacht hatte. Aine tippte blind auf Österreich und ich auf Frankreich, weil die einen Dudelsack hatten. Gewinner wurde Matthias, der zu spät gekommen war und sämtliche Lieder verpaßt hatte. Als Irlandurlauber hatte er jedoch aus lauter Höflichkeit auf die Grüne Insel gesetzt.
Eine Hoffnung bleibt dem irischen Pleitesender: Australien will im nächsten Jahr bei dem unsäglichen Wettbewerb mitmischen und hat angeboten, das Wettsingen kostenlos auszurichten. Für den Profi-Lachs wäre es das Ende der Karriere: Die Teilnehmer müßten statt dessen wohl Buschkänguruhs und Koalabären küssen.
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