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Klassenkampf mit Blick aufs Meer

Kulturhauptstadt in KuratorInnenhand: Kopenhagen feiert „NowHere“ im Louisiana Museum, Humblebaek  ■ Von Harald Fricke

Knud W. Jensen ist ein nonchalanter Mensch. In seinem beigen Anzug, mit grauem Schlips und sandfarbenen Schuhen sieht er wie Jack Lemmon in der Rolle eines gealterten Gatsby aus. Begeistert schwirrt der wohl 70jährige Däne zur Eröffnung von „NowHere“ durch den Garten des von ihm 1958 gegründeten Louisiana- Museums, grüßt hier und dort junge KunststudentInnen und umarmt schließlich Lars Nittve, den derzeitigen Direktor des Hauses, innig wie einen treuen Kameraden. Zwar ist Kopenhagen mit Klassik, Tanztheater und abendlichem Tivoli-Feuerwerk dieses Jahr Kulturhauptstadt, die moderne Kunst aber feiert auf seinem Grundstück an der Küste, vierzig Kilometer außerhalb.

Das Louisiana ist ein Familienmuseum und deshalb populär. 600.000 Menschen kommen jährlich heraus auf Jensens Anwesen, flanieren durch den Park, sonnen sich auf drei Terrassen und schauen sich nebenher seine über 10.000 Quadratmeter verteilte Kunstsammlung an: Francis Bacon, Calder, Kiefer, Picasso, Rauschenberg, Warhol. Dubuffet mit Blick aufs Meer. Für Kinder hat er eine extra Besucherschule mit Malcomputern, Tafellandschaften und Spielwiesen einrichten lassen. Auch sonst sollen sich die Ausflugsgäste nicht vor der Kunst fürchten: Die Außenskulpturen von Max Ernst oder Henry Moore stehen ohne Sockel zu ebener Erde, damit man sie besser anfassen kann. Kein Zweifel, hier in dieser seltsam dänischen Versöhnungsutopie finden selbst Disneyland und Rudolf Steiner am Ende noch glücklich zueinander – eine Idylle, mit der „NowHere“ schwer zu kämpfen hat.

Fünf internationale KuratorInnen hat Nittve eingeladen, um das Haus nach „Art einer Mini-documenta“ mit zeitgenössischen Arbeiten zu gestalten. Dafür wurde das gesamte Museum leergeräumt, die kostbare Sammlung ins Depot verfrachtet. Eigentlich ideale Umstände, doch der Kunst der neunziger Jahre sind solche Situationen äußerst befremdlich. An Race- Class-Gender-Konflikten, Kontext, Diskurs und Institutionskritik geschult, birgt gerade der weiße Raum Probleme: Denn die gesellschaftlichen Verhältnisse, sie sind nicht so. Statt sich interesselos der angenehmen Atmosphäre des Louisiana hinzugeben, wurde umgebaut, hinterfragt, aufgedeckt.

Laura Cottingham etwa hat mit der Auswahl ihrer Sektion „Incandescant“ ein Zeichen setzen wollen gegen die Benachteiligung von Frauen im Kunstbetrieb. Die Folge: viel Geschlechtertheorie, ein Filmprogramm und 28 Objekte, die eher lustlos als Beleg ihrer These vom Ausschluß über vier Räume verteilt wurden. Ein Video der Amerikanerin Howardena Pindell über die Diskriminierung afroamerikanischer Lesben plappert zwischen Cosima von Bonins großformatigen Patchwork- Lappen und einem Porträtfoto, mit dem Deborah Kass ein Selbstbildnis Andy Warhols als Drag Queen parodiert. Der schwule Popstar wird gegen den Strich gebürstet, die KollegInnenschelte aber wirkt ebenso zickig, eitel und auf Eigennutz ausgerichtet.

Auch die in Paris lebende Sturtevant will sich mit ihrer „Installation For Powerful Reversals“ (1995) an Robert Gobers Präferenz für Schwänze abarbeiten und vertauscht doch nur grimmig dessen gelbbehaarte Männerbeine mit einem blühendweißen Brautkleid. Nach einiger Zeit verebbt die Wut, die sich in allerlei Gewaltphantasien entlädt, und allein die Geste bleibt übrig. Sue Williams wünscht sich Männer zur Operation auf den Gynäkologenstuhl und malt dabei ebenso surrealistisch assoziierte Collagen wie Dali, den sie auf einem anderen Bild als Chauvi an den Pranger stellt. Überhaupt dominiert bei Cottinghams Modell weiblicher Selbstbehauptung das Prinzip der Vergeltung. Dadurch ist sie von dem gesteckten Ziel, daß „Kunstwerke der ganzen Gemeinschaft dienen sollten, und nicht bloß denen, die bereits informiert sind“ (Jill Johnston im Katalog) sehr weit entfernt.

Cottingham ist nicht die einzige Kuratorin, die mit der von ihr zusammengestellten Sektion illustrieren will. Für „Get Lost“ haben Anneli Fuchs und Lars Grambye eine Reihe mit Videos und Klanginstallationen arrangiert, die einen Trendmix aus Klubnetz, Neo-Psychedelik und Body-art bebildern. Das begleitende Themenangebot liest sich wie ein großer Aufwasch von Pop-art bis Baudrillard, in dem die frei flottierenden Zeichen mit der aktuellen BPM-Zahl auf House-Tracks abgeglichen werden. Vom fruchtbaren Augenblick zum Special Effect: Plötzlich fahren dann bei Stan Douglas' „Overture“ doch immens freudianisch Züge in einen Tunnel, und in der nächsten Koje sieht man die britischen Wilson-Schwestern für „Crawl Space“ durch ein Horrorhaus schweben. Mal tanzt Peter Land nackt und befreit zu Diskomusik, dann wieder kann man sich bei Henrik Plenge Jakobson mit Lachgas betäuben lassen. Nebenbei läuft Techno in einem chill-out- artig hergerichteten Gewächshaus, der für eine spezielle Louisiana- CD produziert wurde. Auch der Rave gehört zum Konzept im zeitgemäßen Umgang mit Institutionen, zur Eröffnung war gleich ein Dutzend DJs angereist, als Ersatzhappening für frühere Fluxus-Parties.

Selbst der politisch sehr korrekte Bruce Ferguson kommt mit „Walking And Thinking And Walking“ nicht über Metapherndoppelung hinaus. Man geht an Bildern, Environments und mechanischen Objekten vorbei, mit denen diverse KünstlerInnen über das Gehen nachdenken oder eben dem Denken nachgehen. Mona Hatoum zieht auf einem Performance-Foto ein paar Knobelbecher hinter sich her, Barbara Bloom baut eine poetische Brücke in einen imaginären japanischen Garten, und Bruce Nauman stampft per Videomonitor stundenlang durchs Atelier. Auf dem Weg zum Ausgang begegnet man noch Gerhard Richters „Sekretärin“ der grauen Periode, die leider gleich wieder hinter dekorativem Efeu verschwindet, und im Museumscafé läuft als Abschluß ein Clip der Gruppe Talking Heads – „We're on our road to nowhere“. Wenigstens Charles Ray versucht mit einem dann doch harmlosen Planspiel das naturalistisch anmutende Sinnrevival zu konterkarieren. Seine „Family Romance“ aus unförmig angeschwollenen Puppen schart sich als genetische Gruppenmutation um Giacomettis dürre Wanderer, die er vom Museum geliehen hat.

Hier die sorgenvolle Existenz der Moderne, dort der Trash des Post-Human, dazwischen Jenny Holzers Granitbänke mit eingravierten Meditationen am Wegesrand. Auf diese Weise handelt Ferguson jede Position ab, ohne selbst eine eigene beziehen zu müssen. Natürlich finden sich auch Arbeiten über Emigration und Flüchtlingselend, Umweltverschmutzung oder den aufrechten Gang im Allgemeinen. Selbst die Arbeiterklasse bekommt im Engels-Zitat über die Unfähigkeit, sich zu vereinigen, ihren Platz im Museum: „... they rush past one another as if they had nothing in common ...“ steht in zarter Schablonenschrift auf eine Fensterscheibe geschrieben. Klassenkampf mit Blick aufs Meer.

Während Iwona Blazwick mit der Abteilung „Work in Progress“ zwischen Endlosrecherchen und monomanischer Tagebuchkunst pendelt, die sich von Raymond Pettibons hervorragenden Surf- Zeichnungen bis zur numerierten Babywindelkollektion von Mary Kelly erstreckt, hat Ute Meta Bauer „NowHere“ als Ereignis zum Thema gemacht. Was geht an gesellschaftlichen Energien verloren, wenn Kunst den Betrieb bloß mit Bildern beliefert? Ihr „?“ allerdings ist ein Gesamtkunstwerk, das mit Joseph Beuys beginnt und ebendort auch endet. Bauers Fragezeichen kennt nur eine Referenz: Obwohl sie „Beuys nicht zum Helden machen wollte“, füllt seine „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, die zuerst auf der documenta 1977 errichtet wurde, nebst Dokumenten der Aktion einen kompletten Saal des Louisiana. Harald Szeemann kommt als Zeitzeuge zu Wort, René Block wird wegen seiner Fotos vom Aufbau damals als Mitinitiator angeführt. Der Rest ist Zuarbeit eines Teams jüngerer KünstlerInnen aus dem Umfeld der aktivistischen Wohlfahrtsausschüsse, die Fanzines über ihr Selbstverständnis erstellt haben, und nun als Bausteine im All-over der „sozialen Plastik“ verschwinden. Am Ende wird statt der idealen Kunstfamilie nur Ute Meta Bauer als Kuratorin mit museumspädagogischem Know-how in Erinnerung bleiben. Und der Kölner Fareed Armaly, der sie bei diesem Projekt kontextkünstlerisch beraten hat. Immerhin sammelt der Aachener Fotograf Wilhelm Schürmann seine Arbeiten.

„NowHere“, bis 8. September, Louisiana, Humblebaek. Zur Ausstellung ist ein zweibändiger Katalog mit Texten und einer Fotodokumentation erschienen. Er kostet etwa 70 DM

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