: „Votze“ gehört zum Sprachgebrauch
Jahrelang sind Frauen im Mitsubishi-Werk in den USA von ihren Kollegen sexuell belästigt worden. Die Firmenleitung duldete das – jetzt klagen Arbeiterinnen und Gleichstellungsbehörde ■ Von Andrea Böhm
Der Name verrät Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung, nach unauffälliger Kleinstadtidylle. „Normal“ haben die Gründungsväter ihr Dorf inmitten der Maisfelder genannt. Chicago, die nächste Großstadt mit ihrem urbanen Chaos und all ihren Verfallserscheinungen, liegt 200 Kilometer weit entfernt. Normal mit seinen 40.000 überwiegend weißen Einwohnern hat bislang nur einmal Schlagzeilen gemacht. Das war vor elf Jahren, als der japanische Autokonzern Mitsubishi ankündigte, hier ein Produktionswerk mit mehreren tausend Arbeitsplätzen aufzubauen.
Seitdem rollen in Normal die Modelle „Eclipse“ und „Galant“ vom Band, 4.000 Beschäftigte verdienen mit Schichtarbeit und Überstunden zwischen 50.000 und 60.000 Dollar pro Jahr – Einkommen, die in den USA immer seltener werden. Man ist stolz darauf, daß es „hier die besten Jobs in ganz Illinois gibt“, sagt Charles Kearney, der Boß der lokalen Automobilgewerkschaft. Dank eines japanischen Arbeitgebers darf der „amerikanische Traum“ in Normal weitergeträumt werden: Eigenheim, zwei Autos, Collegeausbildung für die Kinder.
Plötzlich drohen 28 Frauen und ein paar Bürokraten aus Washington, diese vermeintlich heile Welt kaputt zu machen.
Am 9. April war die Stadt Normal zum zweiten Mal in die Schlagzeilen geraten. Die „Equal Employment Opportunity Commission“ (EEOC), die Gleichstellungsbehörde des Bundes, klagte vor Gericht gegen Mitsubishi wegen fortgesetzter sexueller Belästigung von Arbeiterinnen durch Kollegen. Hunderte von Frauen, so die Begründung der EEOC, seien über Jahre hinweg durch Drohungen, obszöne Kommentare, Beschimpfungen und Gewalt einer unerträglichen Arbeitsatmosphäre ausgesetzt worden. Die japanische Firmenleitung habe dies nicht nur geduldet, sondern Frauen, die sich beschwerten, auch noch unter Druck gesetzt.
Rund fünfzehn Monate hatte die EEOC im Fall Mitsubishi ermittelt. Nun präsentierte die Behörde dem Gericht eine schier endlose Serie von Übergriffen: Arbeiterinnen als „Votzen“, „Huren“ oder „Miststücke“ zu titulieren, gehört demnach zum gängigen Sprachgebrauch vieler Männer in der Fabrik. Mehrere Frauen gaben zu Protokoll, zum Geschlechtsverkehr aufgefordert worden zu sein. Andere berichteten von Kollegen, die sie festhielten, um ihre Geschlechtsteile an ihnen zu reiben oder offen zu masturbieren. In einem Fall, so die EEOC, habe ein Arbeiter einer Frau mit einem Luftgewehr zwischen die Beine geschossen. Der Kommentar des Vorarbeiters: „Ich will keine Miststücke in meinem Team. Frauen gehören nicht in die Fabrik.“ Frauen, die sich beschwerten, erhielten anonyme Drohanrufe.
Das hielt am Ende 28 Arbeiterinnen nicht davon ab, wegen „fortgesetzter sexueller Diskriminierung, Belästigung und Mißbrauch durch männliche Kollegen und Vorgesetzte“ bei einem Zivilgericht Klage auf Schadenersatz zu erheben. Die Klage der Gleichstellungsbehörde läuft parallel – stellvertretend für alle betroffenen Frauen, die im Verlauf der letzten Jahre Opfer sexueller Belästigung im Mitsubishi-Werk geworden sind. Nach Angaben des stellvertretenden EEOC-Vorsitzenden Paul Igasaki könnte ihre Zahl auf 500 anwachsen. Aller Voraussicht nach wird dieser Prozeß zum größten seiner Art in der Geschichte der USA – und mit Schadenersatzforderungen von bis zu 150 Millionen Dollar zum teuersten.
„Stirb, du Dreckstück. Das wird dir leid tun.“
Der Konzern muß zudem Umsatzeinbußen fürchten. Denn auf dem US-amerikanischen Markt hat sich Mitsubishi ausgerechnet Frauen als bevorzugte Käufergruppe ausgesucht. Zehn Parlamentarierinnen forderten letzte Woche die Konzernführung auf, „jegliche Einschüchterungsversuche gegen die Klägerinnen umgehend zu unterbinden“. Amerikas Frauen, heißt es in dem Brief weiter, „werden Ihr Verhalten in dieser Sache genau beobachten“.
Was sie bis dahin gesehen hatten, war nicht geeignet, ihre Wut zu besänftigen. Knapp zwei Wochen nachdem die Zustände in der Mitsubishi-Fabrik gerichtskundig geworden waren, öffnete Terry Paz, eine der 28 Klägerinnen, zu Beginn ihrer Frühschicht ihren Kleiderspind. In der Tür hing ein Stück Papier mit den Worten. „Stirb, du Dreckstück. Das wird dir noch leid tun.“ Paz übergab den Zettel der Polizei, ihre Anwältin Patricia Benassi forderte den Konzern auf, ihrer Mandantin Personenschutz zur Verfügung zu stellen. Drohungen erhielten auch die Ermittler der Gleichstellungsbehörde, die Anweisung bekamen, sich in Normal nur noch in Gruppen von drei bis vier Personen zu bewegen.
Im Mitsubishi-Hauptquartier in Tokio sieht man nach offizieller Darstellung bislang keinen Grund, sich zu den Vorwürfen der Frauen und der EEOC zu äußern. Die Konzernleitung von „Mitsubishi Motor Manufacturing of America“ (M.M.M.A.) hingegen drohte der Belegschaft in Normal mit dem Abbau von Arbeitsplätzen – und karrte Tausende von ArbeitnehmerInnen in gecharterten Bussen zu einer Protestdemonstration gegen die EEOC nach Chicago.
Gewisse Gebräuche scheinen allerdings auf beiden Seiten des Pazifik gepflegt zu werden. Wie das Nachrichtenmagazin Time berichtet, wurden Abteilungsleiter der US-Filiale von Mitsubishi – allesamt männlichen Geschlechts – bei Fortbildungen in Japan auf Betriebskosten in Nachtklubs mit „sexuell explizitem Programm unterhalten – eine Praxis, die man in Normal fortsetzte“. Laut Klageschrift der EEOC „trug dies zu einer Atmosphäre bei, in der männliche Arbeiter im Werk zu der Überzeugung gelangten, daß die Firmenleitung Mißhandlungen von Frauen tolerieren würde“.
Seit dem Fall Mitsubishi ist in der US-Presse viel über Sexismus in der japanischen Gesellschaft im allgemeinen und in der Arbeitswelt im besonderen zu lesen. Ein Blick auf die Statistiken der EEOC zeigt allerdings, daß sexuelle Belästigung auch ohne das Zutun ausländischer Investoren den Arbeitsalltag vieler Frauen zur Qual macht. Zwischen 1990 und 1995 stieg die Anzahl der jährlich eingereichten Beschwerden von 6.000 auf 16.000.
Die Beschwerdewelle der letzten Jahre ist nicht nur auf wachsendes öffentliches Bewußtsein, sondern auch auf die neuere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zurückzuführen. Frauen haben in den letzten Jahren zunehmend männliche Domänen wie Bergbau, Transport- und Bauwesen, Autoindustrie oder Militär aufgebrochen. „Die erste Frau in einem männlichen Arbeitsumfeld zu sein, heißt zur Zielscheibe zu werden“, sagt Helen Norton vom „Women's Legal Defense Fund“. „Und weil es erst mal nur wenige Frauen betrifft, ist es für die Öffentlichkeit und die Firmenleitungen einfach, sie zu ignorieren.“
Toilettenpausen verboten, Windeln empfohlen
Nicht immer: In Kalifornien verklagten Fließbandarbeiterinnen den Lebensmittelkonzern „Nabisco“, weil ihnen die Fabrikleitung Toilettenpausen verboten und als Alternative empfohlen hatte, mit Windeln zur Schicht zu kommen. Arbeiterinnen eines „Chrysler“-Autowerkes im US- Bundesstaat Missouri haben vor einem Zivilgericht Klage wegen sexueller Belästigung erhoben und schildern eine ähnliche Betriebsatmosphäre wie bei Mitsubishi.
Tsuneo Ohinouye, der Vorstandsvorsitzende von M.M.M.A., gab letzte Woche in Chicago bekannt, daß Lynn Martin, ehemals Arbeitsministerin unter George Bush, im Firmenauftrag gegen sexuelle Diskriminierung in Normal vorgehen wird. Die EEOC und Patricia Benassi nahmen die Ankündigung mit Skepsis zur Kenntnis. Terry Paz kann darüber nur lachen – wenn ihr noch zum Lachen zumute ist. Am Montag fand sie in ihrem Spind einen neuen Drohbrief: „Paß bloß auf“, stand da zu lesen. „Unfälle sind schnell passiert.“
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