Tod durch Infektionen breitet sich weltweit aus

■ Die Weltgesundheitsorganisation beziffert die Zahl der im vergangenen Jahr an Infektionskrankheiten verstorbenen Menschen auf 17 Millionen

Genf (taz) – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf hat zum Auftakt ihrer einwöchigen Jahresversammlung vor der weiteren Ausbreitung neuer und alter, längst überwunden geglaubter Infektionskrankheiten gewarnt. Laut dem gestern veröffentlichten „Weltgesundheitsbericht 96“ wurden von 52 Millionen Menschen, die 1995 an einer Krankheit starben, 17 Millionen Opfer von Infektionen, darunter 9 Millionen Kinder.

Die größten Killer waren schwere Erkrankungen der Atmungswege wie Lungenentzündung, gefolgt von den beiden durch Darmviren verursachten Seuchen Cholera und Typhus sowie Tuberkulose, Malaria, Gelbfieber und Aids. Zu den Krankheiten, die zumindest in Europa und Nordamerika, wenn nicht gar weltweit als ausgerottet galten, sich in den letzten Jahren aber wieder ausgebreitet haben, gehören Diphtherie und Cholera. Die 1990 in der Russischen Föderation ausgebrochene Diphtherie-Epidemie hat inzwischen auf 15 osteuropäische Staaten übergegriffen. Und auch die Cholera forderte 1995 in Osteuropa zahlreiche Opfer. Immer mehr Erreger bekannter Infektionskrankheiten reagieren resistent auf Antibiotika und andere Gegenmittel.

Mit Mehraufwendungen von nur einem US-Dollar pro Person hätten die meisten Opfer bekannter Infektionskrankheiten vor Ansteckung geschützt oder geheilt werden können, heißt es im Weltgesundheitsreport. Doch die Budgets der WHO wie auch der nationalen Gesundheitsdienste in fast allen der rund 190 Mitgliedsstaaten der Organisation wurden in den letzten Jahren eingefroren oder gar gekürzt.

Seit 1976 sind zusätzlich zu den bis dahin bekannten Infektionskrankheiten 30 neue aufgetreten, zuletzt 1995 das Ebola-Fieber in Zaire. 245 der im Vorjahr an Ebola erkrankten 316 Personen sind inzwischen gestorben. Für viele der neuen Infektionskrankheiten sind bislang keine Gegenmittel oder Heilungsmöglichkeiten bekannt. Nach Auffassung von WHO-Generaldirektor Hiroshi Nakajima droht eine „neue globale Krise“, die Gesundheit von Hunderten von Millionen Menschen sei ernsthaft bedroht.

Ob die Delegierten der WHO- Mitgliedsstaaten auf ihrem Jahreskongreß als Antwort auf diese „globale Krise“ neue Programme und die hierfür notwendigen Finanzmittel beschließen werden, bleibt abzuwarten. Doch selbst wenn diese geschehen sollte: Klassiche Gesundheitsvorsorge und die Bekämpfung von Krankheiten auf nationaler oder internationaler Basis stoßen zunehmend an ihre Grenzen. So reichen die einst von der WHO durchgesetzten weltweiten Impfprogramme, dank deren inzwischen jährlich immerhin acht von zehn Kindern gegen die sechs häufigsten unter den altbekannten Infektionskrankheiten immunisiert werden, nicht mehr aus.

Die negativen Entwicklungen sind kaum zu stoppen: Die Verschmutzung des Trinkwassers vor allem in den überbevölkerten Großstädten des Südens nimmt zu. Die Übertragung von Krankheitserregern von einem Kontinent auf den anderen kann durch den rapide zunehmenden Lufttransport von Nahrungsmitteln innerhalb weniger Stunden geschehen. Die Schwächung des menschlichen Immunsystems durch chemische Substanzen, die durch die unnatürliche Fütterung von Schlachttieren in die Nahrungsmittelkette gelangen, ist kaum zu kontrollieren. Und schließlich zerstört der immer häufigere Zusammenbruch öffentlicher Gesundheitssysteme in Bürgerkriegsgebieten und Katastrophenzonen viele Hoffungen. Hinter all diesen Entwicklungen laufen die Weltgesundheitsorganisation und die nationalen Gesundheitssysteme zunehmend hinterher. Andreas Zumach