: Schuldhaftes Versagen der SPD im Schulden-Streit
■ SPD schizophren: Wirtschaftsexperte Schwanhold für, Finanzexpertin Matthäus-Maier gegen höhere Neuverschuldung. FDP fordert weitere Sparschnitte
Bonn (taz) – Mit einander diametral widersprechenden Forderungen haben gestern Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion die Diskussion um eine höhere Nettoneuverschuldung belebt: Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Meier lehnte gegenüber dem Kölner Express eine Neuverschuldung als „großen Fehler“ ab. Ernst Schwanhold, der wirtschaftspolitische Sprecher ihrer Fraktion, kam zum gegenteiligen Schluß: „Ohne Nettoneuverschuldung geht es nicht.“
Das in den vergangenen Tagen bekanntgewordene Defizit könne nicht durch Sparen aufgefangen werden, deshalb müsse die Neuverschuldung zwangsläufig erhöht werden, sagte Schwanhold. Wer diese Schlußfolgerung nicht akzeptiere, gefährde „alle Investitionsspielräume“ und verschärfe den beginnenden Abschwung in Richtung Wirtschaftskrise, warnte der SPD-Politiker.
Die Neuverschuldung für das Jahr 1996 wird nach Schätzung Schwanholds zehn bis 15 Milliarden Mark betragen und damit die geplante Verschuldung von 60 auf 70 bis 75 Milliarden Mark hochtreiben. Um dennoch die Maastricht- Kriterien für die Währungsunion zu erfüllen, müsse geprüft werden, „welche Interpretationsspielräume der Vertrag eröffnet“.
Der Bundesregierung warf Schwanhold vor, sie betreibe „konjunkturverschärfenden Kürzungsaktionismus“. Zum Tarifstreit im öffentlichen Dienst sagte der Wirtschaftsexperte: „Ich halte eine Nullrunde nicht für angemessen, weil sie sofort die Nachfrage dämpfen würde.“ Die SPD wird laut Schwanhold im Bundestag einen neuen Jahreswirtschaftbericht verlangen. Die Fraktion erhoffe sich von einem solchen Schritt eine Korrektur des Sparpakets.
Die FDP will mit weiteren Einsparungen im Bundeshaushalt einen Anstieg der Nettoneuverschuldung vermeiden. Parteichef Wolfgang Gerhardt sagte nach einer Präsidiumssitzung in Berlin, die FDP sei „zu weitergehenden Sparmaßnahmen bereit“. Die Frage, ob er eine Erhöhung der Neuverschuldung kategorisch ausschließe, wollte Gerhardt allerdings nicht beantworten.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Gunnar Uldall, forderte Finanzminister Theo Waigel (CSU) auf, den Rahmen der geplanten Neuverschuldung nicht zu überschreiten. Durch Privatisierungen von Bundesbesitz und durch eine konsequente Verwirklichung der Haushaltssperre ließe sich der Fehlbetrag ausgleichen, sagte Uldall gestern in Bonn. Waigel hatte am Wochenende eine Ausweitung des Defizits nicht ausgeschlossen. Hans Monath
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