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Aus der Gartenlaube ans Katheder

Vom Menschenrecht auf eine C 4-Professur: Die „Geschichte der Frauen- und Mädchenbildung“ orientiert sich allzu sehr an männlichen Karrieremustern. Ist der Feminismus heute eine rein akademische Angelegenheit?  ■ Von Katharina Rutschky

Nach der fünfbändigen „Geschichte der Frauen“, erstellt unter der Oberhoheit von Georges Duby und Michelle Perrot, beschert uns der Campus Verlag nun ein weiteres imposantes Werk. Im Unterschied zu jenem folgt das neue aber wieder erkennbar der Devise: Frauen leiden, Frauen kämpfen, Frauen werden siegen.

Zwei gewichtige, schön ausgestattete und sorgfältig edierte Bände wollen mit gut fünf Dutzend Beiträgen unserem Unwissen über die Geschichte der Frauen- und Mädchenbildung abhelfen. Immer noch ist ja die Frau, auch für Frauenforscherinnen, der dunkle Kontinent, bislang nur punktuell mit Spotlights erhellt. Vom Flutlicht scheinen wir immer noch weit entfernt, obwohl in wenigen Jahren eine Bibliothek entstanden ist, deren Bestände sich von fast null exponentiell, nicht bloß linear vermehrt haben.

Das ist auch die Überzeugung der beiden Herausgeberinnen Elke Kleinau und Claudia Opitz, die ihr Unternehmen sehr bescheiden als eine Art Prolegomenon einer zukünftigen Bildungsgeschichte der Frauen etikettieren. Wenn weiter wie bisher so fleißig geforscht wird, Lücken gefüllt und Differenzierungen vorgenommen werden, dann können die nächsten fünf, sieben oder zwölf (?) definitiven Bände nicht ewig auf sich warten lassen.

So wird es wohl kommen, kein Zweifel. Was ich aber schon nach der Prüfung des Vorlaufs bezweifeln möchte, ist, daß diese avisierte Bildungsgeschichte überhaupt von Frauen und Mädchen handeln wird, gründlicher und besser, als es bisher geschehen ist. Es ist nämlich möglich und fast überall eher die Regel als die Ausnahme, auch in diesen beiden Bänden, über Frauen und Mädchen zu reden und sie dabei dennoch desto nachhaltiger zu beschweigen.

In ihrer Einleitung bemerken die Herausgeberinnen zwar richtig, daß weibliche Bildungsgeschichte jahrhundertelang bis in die jüngste Zeit außerhalb der Institutionen stattgefunden hat, in denen eine schmale Elite von Männern lernte und lehrte. Den Schluß daraus, daß dann weibliche Bildungsgeschichte andere Inhalte gehabt haben muß, andere Wege gegangen ist und deshalb auch mit neuen Hypothesen und Methoden zu erforschen wäre, ziehen sie aber nicht. Von heute aus gesehen ist es nämlich allzu verführerisch, weibliche Bildungsgeschichte in Anlehnung an die allgemeine, das heißt männliche, aber auch hochkulturell-hegemoniale als bloße Geschichte des langen Ausschlusses und dann mühsam erkämpften Einschlusses zu schreiben. Daß dies selbst heute, wo rechtliche Barrieren nicht mehr existieren, Frauen und Mädchen nicht gerecht wird, zeigen die plötzlichen Zweifel am Nutzen der Koedukation, zeigen die bemühten Exkurse in die Psychologie diskriminierter Minderheiten, die das Scheitern so mancher guter Absichten und Projekte erklären sollen.

Jedenfalls sind Kleinau und Opitz, seit langem ganz im Einklang mit Forschungslage und Forscherinteressen, der Verführung zur kämpferisch-kritischen Anlehnung an die männliche Bildungsgeschichte gründlich erlegen. Von den insgesamt 62 Aufsätzen widmen sich grob gerechnet 15 den Problemen, die Frauen mit der Universität hatten und haben.

Sie beginnen mit der Entstehung der Universität als Männerwelt im 13. Jahrhundert und enden noch lange nicht mit der Bestellung von Frauenbeauftragten und der Durchsetzung von Richtlinien zur Frauenförderung. Zweimal erinnern Kleinau und Opitz schon im ersten Satz ihrer beiden Vorworte an den vorgeblichen Meilenstein weiblicher Bildungsgeschichte. Es ist das Habilitationsrecht, das 1920 eingeräumt wurde und 1995 demnach sein 75. Jubiläum feiern konnte. Soll ich daraus entnehmen, daß die deutsche Professorin der teleologische Fluchtpunkt einer vielhundertjährigen Frauengeschichte und das Nonplusultra weiblicher Emanzipation ist? So sehr ich kürzlich einer Freundin im Bewerbungsmarathon um eine C 4-Professur die Daumen gehalten habe, so sehr sträubt sich doch meine Einsicht dagegen, die restlichen 99 Prozent der weiblichen Menschheit in Geschichte und Gegenwart, die nicht studiert und habilitiert sind, für uninteressant, unterdrückt und ungebildet zu halten. Man könnte noch weiter gehen: Die rein zahlenmäßig schwer zu bestreitende „Feminisierung“ des Lehrberufs (in Sozialberufen verhält es sich ähnlich) wird in einem Beitrag durch den Hinweis sozusagen entwertet, daß Frauen hierarchisch schlecht positioniert geblieben sind. Eine weniger dogmatische Interpretation könnte die familiär-berufliche Mischexistenz vieler Lehrerinnen oder ihre Schülerzentriertheit vs. Führungsambition auch ganz plausibel finden.

Weiblichkeit, ein schlimmer Virus

Nur wenn die ideale (schon seltener reale) männliche Karrierebiographie zum Maßstab für alle gemacht wird, erscheinen die Frauen in toto und überall wie defizitär und alles, was sie sonst noch tun (Kinder haben, Geld ausgeben, Briefe schreiben, Marmelade kochen), wie Zumutungen, die sie drücken und vom ersehnten Höhenflug abhalten.

Was sich in der sonderbaren Akzentuierung auf die Universitätslaufbahn von Frauen abspiegelt – ein weiterer ist die höhere Mädchenbildung und ein dritter die Frauenbewegung als solche, die sich um beide bemüht hat –, ist wohl noch etwas anderes als das vermutete Telos deutscher Frauenbildungsgeschichte im Professorat. In wenigen Jahren ist nämlich die neue deutsche Frauenbewegung zu einer Angelegenheit von rein akademischem Zuschnitt geworden, ohne daß jene, die nun die Frauenfrage so oder so beforschen, über ihre Standortbindung selbstkritisch nachdenken.

Einen ersten vorsichtigen Versuch, die Risiken eines akademisierten Feminismus in den Blick zu bekommen, macht Heike Kahlert, vielleicht nicht zufällig eine der jüngsten Beiträgerinnen und deshalb frei von der Verbissenheit, mit der manche Pionierin das Feindbild pflegt, auch wenn sie Frauenforschung treibt. Die Verwunderung darüber, daß es im 13. Jahrhundert ein Menschenrecht auf Bildung nicht gab, ist ebenso naiv wie die Empörung über die Zünfte, welche die immer dürftigere ökonomische Basis ihrer Mitglieder mit Zähnen und Klauen verteidigten – natürlich auch gegen Frauen. Überhaupt wäre zu wünschen, daß die historische Frauenbildungsforschung von den Innovationen Kenntnis nimmt, welche die Geschichtsschreibung über die Personen-, Institutionen- und Ideengeschichte hinaus gebracht hat. Man stelle sich vor, wir wüßten von Bauern bloß, was Städter über sie sagen, oder von Kindern, was Theologen sagen, die an die Erbsünde glauben.

Es ist auch ziemlich altmodisch zu meinen, die Frauenbewegung, die sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert nur eine marginale Gruppe erfaßt hat, habe die Frauen befreit. Ich lese zwar gerne über die Frauenpublizistik radikaler Feministinnen um 1848; für die weibliche Bildungsgeschichte dürften aber Poesiealben, die Gartenlaube, Henriette Davidis' Kochbuch, das wöchentliche Kränzchen und eine Menge anderer Veranstaltungen ungleich wichtiger gewesen sein. Für das, was Frauen konnten und wußten und außerinstitutionell auch tradierten, wäre eine Analyse verschiedener Haushaltsmodelle recht aufschlußreich, wie sie vorbildlich Margarete Freudenthal in ihrer Dissertation von 1934 vorgenommen hat. Die Tatsache, daß unter veränderten historischen Umständen jüngere Frauengenerationen vor dem Schicksal ihrer Mütter und dem Dasein der Nur-Hausfrau voller Entsetzen flohen, kann nicht entschuldigen, daß weibliche Bildungsforschung das primäre Betätigungsfeld der Frauen und Mädchen vor uns mit Nichtbeachtung straft.

Es gibt ein paar schöne und zukunftsweisende Ausnahmen. Ohne Scheuklappen, sachlich und genau hat Irene Hardach-Pinke den Beruf der Gouvernante beschrieben. Einem ganz zentralen Thema, dem Kinderkriegen, widmet sich der in jeder Beziehung originelle Aufsatz von Eva Labouvie über die ländlichen Hebammen. Ein anderer Titel über das Briefeschreiben klang vielversprechend, entlarvte bei näherem Zusehen aber die Absenderinnen als solche, die vom Weiblichkeitskonstrukt der Zeit infiziert waren. Bis heute eine böse Krankheit!

Ich resümiere: Auch die Frauenbildungsgeschichte leidet schwer an einem Dilemma. Einerseits dürfte es gar keine Frauen geben – wenn es denn gerecht zuginge in der Welt; andererseits brauchen wir starke Frauen, um an dem Zustand etwas zu ändern. Was niemand brauchen kann, sind Frauen, die das nicht begreifen.

Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hrsg.): „Geschichte der Frauen- und Mädchenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung“. Bd.2: „Vom Vormärz bis zur Gegenwart“. Campus Verlag, 1996. 588 und 680 Seiten, 88 und 98 DM

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