piwik no script img

■ VorschlagDie Unschuld und der Schmerbauch – ein Film über Kindesmißbrauch

Der erste Kinofilm von Martin Enlen ist nichts für einen entspannten Sonntagnachmittag. Das weiß man schon im voraus, denn der Regisseur hat sich auf eines der prekärsten Themen eingelassen: Kindesmißbrauch. Rückblenden mit grausamen Szenen aus der Kindheit, pädophile Gier und verzerrte Stimmen. Oder ist es diesmal anders? Wie die meisten Filme, bei denen es später noch gruselig wird, fängt auch dieser harmlos an. Er ist nämlich als Thriller gedacht und wird neben den Mißbrauchszenen knarrende Treppenhäuser und – hitchcockartig – tödliche Badszenen beinhalten.

Der bekannte Kinderbuchautor Leon (Martin Umbach) kann seit dem Tod seiner Frau keine Zeile mehr schreiben. Um sich abzulenken, fährt er mit seiner 11jährigen Tochter nach Dänemark. Dort trifft er die Rezeptionsdame Roula, die mit ihrem Vater zusammen eine Ferienhaussiedlung leitet und ihn sofort interessiert. Doch sie ist zwar so schön und blond wie Immer-Ferien-in-Dänemark, wird aber tatsächlich seit ihrer Kindheit mißbraucht. Ein Foto von Roula mit der Polaroidkamera, und schon setzen mit dem Blitzlicht als Übergang die Stimmen und das Gelächter aus der Vergangenheit ein, die man schon befürchtet hatte. Zu den Erinnerungsszenen gehört auch die morsche quietschende Kinderschaukel und das weiße Plüschtierlamm (religiöse Symbolik!), an das sich Roula noch als Erwachsene klammert. Am Ende des Films wird es verbrannt.

Auch bei der Figur von Roulas Vater (Ernst Jacobi), dem Kinderschänder, wird nicht gespart: rote schwitzige Halbglatze, faltiges, diabolisches Grinsen, Speck an den Hüften und Schmerbauch. Wenn er halbnackt auf einem Stuhl sitzend seine inzwischen erwachsene Tochter bittet, ihm vor dem Baden die Haare zu schneiden, ist jede Speckrolle von der Seite beleuchtet. Zum Glück schafft es der Regisseur, am richtigen Punkt aufzuhören. Voyeurismus bekommt keine Chance. Und immerhin spielt die Hauptdarstellerin Anica Dobra (“Honigmond“) herausragend. Ihre Charakterdarstellung, so ganz Hollywood-unlike, entschuldigt die Besetzung der blonden Unschuld neben dem Schmerbäuchler. Julie Annette Schrader

„Roula“ von Martin Enlen, BRD 1994, wo/wann siehe cinemataz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen