Reemtsmas Verließ war in Garlstedt

■ Entführer hatten Millionär in einem Reetdachhaus versteckt

Bei ihrer Fahndung nach den Enführern des Hamburger Multimillionärs Jan Philipp Reemtsma ist die Polizei einen großen Schritt weitergekommen. Der Keller, in dem Reemtsma fünf Wochen gefangen gehalten wurde, wurde vor den Toren Bremens in einem Haus in Garlstedt entdeckt, sagte Hamburgs Polizeipräsident Arwed Semerak gestern (siehe Seite 2).

Das Versteck in einem reetgedeckten weißen Klinkerhaus am Golfplatz des Bremer Golfclubs zur Vahr in Garlstedt war am diesem Donnerstag von Reemtsma persönlich zweifelsfrei identifiziert worden. Der Entführte war nach der Besichtigung des Kellers „sehr erleichtert“. Hohe Tannen umsäumen das Grundstück am Alten Bremer Weg 77, das von außen nicht einzusehen ist.

Nach Aussage eines Nachbarn wird das Haus, das einer Bremerin gehört, seit geraumer Zeit mal für kürzere, mal für längere Zeit vermietet. Von ihr soll es auch der Reemtsma-Entführer Peter Ernst Adolf Richter gemietet haben, der seinen Hauptwohnsitz in Leverkusen hat. Die Besitzerin des Hauses in Garlstedt habe mit der Entführung „überhaupt nichts“ zu tun, sagte die Polizei.

Das Garlstedter Haus wurde gestern nachmittag von dichten Trauben Schaulustiger belagert. Von der Straße ist es nicht einzusehen. Nur über einen langen Kies-Sand-Weg ist das Haus am Alten Bremer Weg 77 zu erreichen. Hohe Tannen umsäumen das Grundstück, große Rhododendronbüsche stehen in Blüte. Die Vögel zwitschern an diesem frühlingshaften Freitag.

Die Fenster sind mit dicken Vorhängen verhängt. Nur in die Küche läßt sich ein Blick werfen. Auf der Spüle liegt eine Karte von der Polizei Niedersachsen, Bezirksregierung Lüneburg. Daneben liegt ein frankierter Briefumschlag, adressiert an W. Koszhics, Alter Bremer Weg 77, Garlstedt. Die Polizei fahndet auch nach einem 55 Jahre alten Wolfgang Koszics. Kurze Zeit später werden die beiden Schriftstücke von einen Polizisten entfernt. Mindestens sechs Personen sind im Haus, uniformierte Polizisten und Kripobeamte. Spätzer kommen Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes. Sie sollen eine Alarmanlage installieren.

Niemand hat etwas gesehen, keiner etwas gemerkt. Auch der direkte Nachbar, Hans-Hermann Warnke (69), hat nichts Ungewöhnliches bemerkt. Kein Auto mit ausländischem Kennzeichen sei ihm aufgefallen, versichert er. Nur an diesem Donnerstag hat er nach eigenen Angaben „viele Leute“ auf dem Grundstück bemerkt. taz/dpa

Die Garlstedter können gar nicht glauben, daß sich das Entführungsdrama in ihrem ruhigen kleinen Dorf bei Osterholz-Scharmbeck abgespielt hat. „Hab' ich mir nie vorstellen können, daß so etwas hier passiert“, sagt ein Garlstedter, der seit 33 Jahren hier lebt. „Es ist einfach nicht vorstellbar. Wir gehen hier zum Angeln, zum Sportplatz oder einfach spazieren“, ergänzt eine Frau aus Ritterhude. „Ich bin ganz fertig davon.“ dpa