: Der Held ist frauenscheu
Howard Winchester Hawks, Regisseur und Pilot, hat die Art erfunden, wie John Wayne ein Gewehr auffängt und wie Lauren Bacall raucht. Heute hätte er Kinoalter erreicht: 100 Jahre ■ Von Lars Penning
Versuchen Sie, den Plot eines beliebigen Howard-Hawks-Films nachzuerzählen. „Hatari!“ (1962) zum Beispiel. Kennt fast jeder. Etwa so? „Die Erlebnisse einiger Tierfänger während einer Jagdsaison in Afrika.“ Oder so? „Italienische Fotografin verliebt sich in einen Tierfänger. Erst will er nicht, dann will sie nicht. Am Ende kriegen sie sich doch.“ Aber wo bleiben Chips und Kurt? Die Liebesgeschichte zwischen Brandy und Pockets? Die Sache mit der Rakete, die ein Netz über den Affenbrotbaum schleudert? Oder die Story mit den Babyelefanten? Die Jagdszenen? Oder ...?
Hawks' Filme haben keinen Plot, den man sinnvoll nacherzählen könnte. Angeblich mußten Hawks und Bogart während der Dreharbeiten zu „The Big Sleep“ (1946) bei Raymond Chandler, dem Autor der Romanvorlage, anrufen, weil sie zwischenzeitlich selbst nicht mehr wußten, wer den Chauffeur ermordet hatte. „Fun and business“ war Hawks' Credo, und entsprechend hat er alles einmal durchgespielt: Western, Kriegsfilm, Screwball-Comedies, Thriller und sogar Science-fiction. Unfertige Drehbücher, die ständig umgeschrieben wurden, und das Improvisieren der Schauspieler gehörten zu Hawks' Arbeitsweise – die er sich nur deshalb erlauben konnte, weil er die meisten seiner Filme selbst produzierte. Nur zu Beginn seiner Karriere stand er von 1926 bis 1929 bei der Fox-Film unter Vertrag, danach verkaufte er seine Projekte oder die fertigen Filme an verschiedene Studios.
Bei seiner Regie, die François Truffaut „unsichtbar“ nannte, das heißt schnörkellos und effizient, gab es hingegen nichts Zufälliges. Michèle Girardon, die in „Hatari!“ die Rolle der Brandy übernommen hatte, kommentierte später: „Die Psychologie der Personen hat ihn fast überhaupt nicht beschäftigt, da hat er uns vollkommen freie Hand gelassen; er wollte immer nur die extravaganten Sachen, wie jemand geht und so.“
Es sind genau diese „extravaganten Sachen“, die präzisen Gesten, die in Hawks' Kino den Charakter der Personen bestimmen und letztlich in Erinnerung bleiben: John Waynes Gang zum Beispiel und die Art, wie er ein Gewehr auffängt. Lauren Bacall, wie sie sich eine Zigarette anzündet. Marilyn Monroe, wie sie mit dem Hintern wackelt. Er schuf amerikanische Ikonen, auch wenn er sie nicht erfand.
Es paßt zu seiner Genre-Wendigkeit, daß Hawks genau der Ära entstammte, in der das Kino erfunden wurde: Am 30. Mai 1896 in Gushen/Indiana als Sohn eines Fabrikbesitzers geboren, schloß er 1917 den Besuch der Cornell Universität in New York mit einem Ingenieurdiplom ab. In diese Zeit fällt auch sein erster Kontakt mit dem Kino: Während der Semesterferien arbeitete er in der Drehbuchabteilung von Famous- Players-Lasky. Im Krieg landete er bei der Luftwaffe, später als Konstrukteur bei einer Flugzeugfabrik. Nebenbei fuhr er, Hasardeur, der er war, auch riskante Autorennen und nahm schließlich den Kontakt zum Filmgeschäft wieder auf: Zunächst als Produzent von „Independent“-Two-Reel-Comedies, dann als Mitarbeiter der Drehbuchabteilung bei Paramount. Da man ihn aber nicht Regie führen lassen wollte, wechselte er zur Fox, wo er 1929 seinen ersten Film „The Road to Glory“ realisieren konnte. Folgt man Truffaut, teilt sich Hawks' Werk in Abenteuerfilme und Komödien: „Die ersteren sind ein Lob auf den Menschen, sie feiern seine Intelligenz, seine physische und moralische Größe. Die zweiten zeugen von der Verkommenheit eben dieses Menschen in der modernen Gesellschaft.“
Im Bereich der Abenteuerfilme machte Hawks Kino über Dinge, die er selbst kannte und liebte: die Fliegerei in „The Air Circus“ (1928), „The Dawn Patrol“ (1930) oder „Only Angels Have Wings“ (1939); Autorennen in „The Crowd Roars“ (1932), „Red Line 7000“ (1965); die Jagd in „Hatari!“. Es sind Geschichten um Gruppen von „Professionals“, von Leuten, die ihre riskante Arbeit gut machen. Hardy Krüger als Autofahrer und Gérard Blain als exzellenter Schütze in „Hatari!“. Oder James Caan in „El Dorado“, der zwar nicht mit Schußwaffen, dafür aber um so besser mit dem Messer umgehen kann. Nichts amüsierte Hawks mehr als Fred Zinnemanns „High Noon“ (1952), wo Gary Cooper den ganzen Film lang um Unterstützung bei anderen nachsucht, um am Ende dann doch allein mit den Schurken fertig zu werden. Hawks' Antwort war „Rio Bravo“ (1959): Dem Sheriff (John Wayne) stehen ein Krüppel, ein Säufer und ein Greenhorn, die sich jedoch alle bewähren, im Kampf gegen die Banditen zur Seite. Die Geschichte gefiel Hawks dann so gut, daß er sie in „El Dorado“ (1965) gleich noch einmal erzählte.
Bevor sie in die Gruppe der Profis aufgenommen werden, müssen sich die Neuankömmlinge, wie Ricky Nelson in „Rio Bravo“ und James Caan in „El Dorado“, erst beweisen oder sogar eine richtige Aufnahmeprüfung ablegen, wie Gérard Blain in „Hatari!“
Ähnlich verhält es sich in Hawks' Filmen mit den Frauen. Leigh Brackett, vielfache Drehbuchautorin („The Big Sleep“, „Rio Bravo“, „Hatari!“, „El Dorado“, „Rio Lobo“) bei Hawks, hat die Beziehung von Mann und Frau in seinen Filmen perfekt erläutert: „Der Held ist frauenscheu und lebt in einer männlichen Welt, wo er sich wohlfühlt. Wenn das neue Mädchen ankommt, versucht er es zunächst loszuwerden. Sie besteht darauf zu bleiben, und jetzt muß sie sich in dieser geschlossenen Gruppe ihren Platz als Mann erobern und beweisen, daß sie ebenso ehrlich und mutig und treu wie jeder von ihnen ist. In der Zwischenzeit realisiert sich die Frau, wie Naomi Wise sagt, als ein ganzes und vollständiges menschliches Wesen in eigener Bestimmung und ohne die Macken des Helden.“
Während Hawks' Abenteuerfilme auch in dramatischsten Situationen noch komische Momente aufweisen, sind die Komödien meist bitterböse: Jacques Rivette und François Truffaut haben in Texten zu Hawks' Filmen nahezu unisono erklärt, daß sie über „Monkey Business“ (1952) respektive „Gentlemen Prefer Blondes“ (1953) nicht haben lachen können, weil „einem das Lachen im Halse stecken bleibt, das Vergnügen verwandelt sich in Peinlichkeit“ (Truffaut). Andererseits sind sie so ziemlich das rhetorisch Gewandteste, was in dem Genre entstanden ist: „His Girl Friday“ (1940) ist der gewiefte Kampf eines Redakteurs (Cary Grant) um seine Exfrau (Rosalind Russel), der er eine Recherche andient, von der sie, wie er weiß, nicht die Finger lassen kann. Als Profis treffen sie sich so wieder, der treue Verlobte, den sie sich inzwischen angelacht hat, sieht danach nur noch aus wie ein Schmock.
So ist es bei Hawks: Die Figuren seiner Komödien stolpern von einer Erniedrigung zur nächsten, wobei die Erwachsenen ziemlich infantil daherkommen. Cary Grant als Dinosaurierexperte in „Bringing Up Baby“ (1938) und erst recht der in „Monkey Business“ mit einer Verjüngungsdroge experimentierende Professor. Dorothy (Jane Russell) in „Gentlemen Prefer Blondes“ wird zur Nymphomanin, wenn sie, umringt von Sportlern in fleischfarbenen Slips, „Is anyone here for love?“ singt, und Lorelei (Monroe), die konsequenteste Verkörperung aller „Golddigger“, versteckt ein Diadem so hinter ihrem Rücken, daß es, wie Truffaut meint, „aussieht, als kröne sie damit (...) ihr Arbeitsinstrument“. Umgeben sind die beiden ausschließlich von Nullen: Da gibt es eine Horde hirnloser Muskelprotze (die Olympiamannschaft), einen dämlichen Millionär, der von seinem Vater gegängelt wird, einen Sugar Daddy mit dem bezeichnenden Spitznamen „Piggy“ und ein frühreifes Kind.
Überhaupt Kinder: In Hawks' Kurzfilm „The Ransom of Big Chief“ (1952) erweist sich ein kleiner Junge als so widerlich, daß seine Entführer (Fred Allen und Oscar Levant) schließlich Geld bezahlen müssen, damit die Eltern ihn zurücknehmen. Rivette hat darauf hingewiesen, daß „die Gesellschaft in dem, was er zeigen möchte, eine ebenso unwichtige Rolle spielt wie die Gefühle; mit Capra verbindet ihn ebenso wenig wie mit McCarey; ihn beschäftigen ausschließlich die Abenteuer des Intellekts“.
Hawks' Komödien entwerfen keine Utopien, bieten nichts Versöhnliches; er war schlicht der scharfsinnigste und grausamste Regisseur dieses Genres. Howard Hawks starb am 26. Dezember 1977 in Palm Springs.
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