: Mehr Sachlichkeit
■ betr.: „Hessens Union kennt den Rechtsstaat nicht“, taz vom 22. 5. 96
Die christlich-liberale Innen- und Rechtspolitik des Bundes setzt in erster Linie auf Repression, starken Staat und die Kriminalitätsfurcht der Bürger. Da wird das Grundgesetz scheibchenweise zurechtgestutzt, sei es bei der sogenannten „Inneren Sicherheit“ oder der faktischen Abschaffung des Zufluchtrechts für Flüchtlinge, und es wird auch schon mal eine Bundesjustizministerin geopfert, die nicht so recht in dieses Konzept paßt und für die das „Liberale“ im politischen Selbstverständnis noch nicht zur bloßen Worthülse verkommen ist.
Was aber die Opposition in Hessen mit ihrer maßlosen Kampagne gegen den ersten grünen Justizminister Rupert von Plottnitz derzeit anrichtet, ist noch eine Spur infamer: Gesunden Volkszorn vortäuschend, soll in einer kühl kalkulierten Kampagne mit dem Märchen vom „Sicherheitsrisiko“ die gesamte Regierung Eichel in Mißkredit gebracht werden. In Ermangelung sachlicher Argumente wird wild draufgehauen, und sei es auch unter die Gürtellinie.
Da werden wider besseres Wissen Dinge als vermeintliche Skandale angeprangert, die zwar unerfreulich sind – zum Beispiel die Haftentlassung von Tatverdächtigen infolge verzögerter Ermittlungen, Entweichungen von Strafgefangenen im offenen Vollzug –, die jedoch sämtlich im statistischen Mittel der anderen Bundesländer liegen. Mehr noch: Unter der Vorgängerregierung Wallmann mußten weit mehr U-Häftlinge aus der Haft entlassen werden als derzeit – wen schert die Wahrheit!
Selbst besonnene Parteigänger des eigenen Lagers, die – weil sie die hessische Justiz aus der beruflichen Praxis kennen und nicht nur aus den Presseerklärungen der Opposition – schütteln da zuweilen den Kopf und fordern mehr Sachlichkeit.
Beispiel Drogenpolitik: Wer sinnvolle Vorschläge zur Drogenpolitik macht, etwa die ärztlich kontrollierte Abgabe an Abhängige, um einerseits dem organisierten Drogenverbrechen den profitablen Boden zu entziehen und außerdem die Beschaffungskriminalität, diesen Löwenanteil an der Gesamtzahl aller Straftaten, wirksam einzudämmen – von der menschlichen Chance für die Süchtigen gar nicht zu reden –, der kann sicher sein, verunglimpft zu werden, gerade so, als wolle er „unsere Jugend“ der Drogenmafia preisgeben – auch wenn das exakte Gegenteil wahr ist.
[...] Innenpolitische Erfolge, wie die weitsichtige Reform der hessischen Polizei unter rot-grüner Regierungsverantwortung, werden totgeschwiegen, weil für das besagte Feindbild untauglich.
Solange die Mehrzahl des Publikums den Unterschied zwischen Heroin und Haschisch nicht wahrnimmt und selbst einem diesbezüglichen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes weniger vertraut wird als den Kettenhunden der CDU, solange geht die skrupellose Rechnung mit Populismus und Desinformation auf.
Der Preis für die „Lufthoheit an den Stammtischen“ ist hoch: Nicht nur die Umsetzung wirkungsvoller Maßnahmen wird erschwert, sondern Vorurteile werden verfestigt, und die allenthalben beklagte Politikverdrossenheit erhält weitere Nahrung. Nur am Rande bemerkt: Die Schmutzkampagne der hessischen Opposition ist obendrein sehr unchristlich. Wolfgang Schwerdtfeger,
Rechtsanwalt, Geschäftsführer
des Republikanischen Anwältin-
nen- und Anwältevereins
(RAV), Kassel
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