: Am Anfang war die Korruption
In Rußland sind Regierungsinstitutionen und Wirtschaft extrem eng und oft undurchschaubar miteinander verbandelt ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Daß der russische Staat durch Korruption mehr Dollarmilliarden verliert, als er durch die Kredite der Weltbank wieder hereinbekommt, weiß in Moskau jedes Kind. Weil aber unter diesen Umständen die Menschenrechte für einfache russische BürgerInnen auf der Strecke bleiben, lud ein unentwegtes Häuflein Sankt Petersburger MenschenrechtlerInnen in- und ausländische ExpertInnen ein. Die Organisation „Bürgerkontrolle“ setzte in einem Seminar das Thema auf die Tagesordnung: „Die Gesetzgebung der Russischen Föderation über den Kampf mit dem organisierten Verbrechen und der Korruption“. Bezahlt wurde das Treffen unter anderem vom EU-Förderprogramm Tacis.
Die organisierte Kriminalität drängt sich beharrlich in die Sphäre der großen Politik in Rußland. Vom offenen Wettbewerb, vor allem auf internationalem Pflaster, halten sich russische UnternehmerInnen dagegen vornehm zurück. Ihre Trümpfe heißen: Ausfuhrlizenzen, Wohltätigkeit und Präsidenten-Ukasse.
Weshalb die Berater Präsident Jelzins ihn in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit veranlaßten, seinen Staat zu berauben, indem sie ihn für Sportler und Afghanistan-Veteranen Ausfuhrerleichterung und Steuervergünstigungen beschließen ließen – eine solche Frage können sich nur AusländerInnen stellen. Hätte man nämlich statt dessen den Sportanlagen und notleidenden Afghanistan-Veteranen durch Steuermittel geholfen, dann wäre ja die Verwendung der Gelder nachprüfbar geblieben. Die wohltätigen Stiftungen aber führen nach Schätzung von Experten tatsächlich nur zwischen 5 und 35 Prozent ihrer Einnahmen den deklarierten Zwecken zu.
Und wo es etwas zu verteilen gibt, und sei es nur eine Lizenz, da sitzen in Rußland auch die Schmiergelder locker. Die erst kürzlich abgeschafften Alkohol- importvergünstigungen für die „Nationale Sportstiftung“ und ihr nahestehende Organisationen unter der Ägide von Jelzins persönlichem Tennistrainer, Schamil Tarpischtschew, sind nur ein Beispiel. Sie kosteten den Steuerzahler Iwan umgerechnet etwa vier Milliarden Dollar.
„Die Korruption wirkt vor allem im Staatsapparat, unter den Staatsbeamten, in der Legislative ebenso wie in der Exekutive und im Bankwesen. Die beschriebene negative Erscheinung hat auch die Rechtspflegeorgane und die Gerichte nicht verschont.“ Dieser Satz stammt aus einer Presseerklärung des russischen Innenministeriums vom Januar. Die Statistik dieser Institution über die von ihr aufgedeckten Fälle – einige hunderttausend – ist allerdings mit Sicherheit viel zu niedrig angesetzt. Aber was soll der Innenminister über seine Schäfchen denn auch sagen? Schließlich verdienen ordinäre Milizionäre und Verkehrspolizisten nicht genug, um ohne Bakschisch über die Runden zu kommen.
Der Begriff „Korruption“ – so betonte in seinem Eingangsvortrag der Vorsitzende von „Bürgerkontrolle“, Altdissident Boris Pustynzew – ist in der russischen Gesetzgebung noch immer nicht definiert. Die bisherigen Versuche, dem Phänomen durch Präsidentenerlasse und Gesetzentwürfe beizukommen, folgen dem Prinzip: strafe und räche! Sie entfernen Rußland von der „Europäischen Konvention der Menschen- und Grundrechte“, die zu realisieren es bei seinem Eintritt in die Europäische Union versprach. Es sei nur daran erinnert, daß einem Präsidenten-Ukas zufolge des organisierten Verbrechens Verdächtigte bis zu dreißig Tage ohne Richterbeschluß eingelocht werden können.
Doch nicht nur in Rußland selbst blüht die Korruption. Genommen wird auch in Westeuropa immer bereitwilliger und frecher. Daß gerade die großen westlichen Konzerne den Schmiergeldnehmern in der dritten Welt und in der GUS nie geahnte Summen zuspielen, diesen Sachverhalt strich Peter Eigen heraus. Eigen, der lange für die Weltbank in Afrika im Einsatz war, ist heute Vorstandsvorsitzender der internationalen, nicht gewinnorientierten Bürgerinitiative „Transparancy International“. Den russischen TeilnehmerInnen standen die Münder offen, als Eigen erklärte: „Wenn ein deutsches Unternehmen bei Ihnen einen Politiker bestechen möchte, um einen russischen Regierungsauftrag zu bekommen, dann kann es die dafür notwendigen Gelder zu Hause von der Steuer absetzen.“ Er plädierte im übrigen dafür, die Korruption bei privaten Konzernen ebenso zu ahnden wie bei der öffentlichen Hand.
Sein Argument: Wenn BürgerInnen auf der schlampig gebauten Trasse einer privaten Eisenbahngesellschaft verunglücken oder an Aids erkranken, weil ein Pharmabetrieb Mediziner für eine unterlassene Kontrolle schmierte, dann leiden die Betroffenen nicht weniger als die zu Unrecht von einem bestochenen staatlichen Richter Verurteilten.
Was die russische Gesetzgebung betrifft, so möche Transparancy International mit Hilfe russischer Experten noch dieses Jahr ein Buch anlegen, das Indizien für Korruption beschreibt. Es soll ehrlichen Duma-Deputierten und Bürgerrechtlern als Leitfaden und Kampfhilfe dienen.
Einige der russischen ReferentInnen versuchten einen nicht unwesentlichen Umstand ins Zentrum des Seminars zu rücken: Bis vor fünf Jahren konnte Privatkapitel in Rußland nur auf illegale Weise angehäuft werden. Folglich stand schon an der Wiege des gesamten neurussischen Unternehmertums die Korruption.
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