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Schwierige Solidarität

■ Norddeutsche Hafenarbeiter zeigen Gewerkschaftern die kalte Schulter

Nordenham ist nicht Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg. Den Beweis lieferten die Nordenhamer Hafenarbeiter des Privathafens der Midgard DSAG am Montag. An dem ersten von fünf Aktionstagen, die die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) gegen die Arbeitsbedingungen von Besatzungen auf Schiffen unter Billigflaggen ausgerufen hatte, schlugen die Arbeiter im Weserhafen das Bemühen der Transportarbeiterföderation und ihrer Mitgliedsgewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) in den lauen Seewind.

Anders als in den großen Häfen Hollands oder Belgiens, wo Hafenarbeiter das Be- oder Entladen von Schiffen zeitgleich verweigerten, um Reeder, deren Besatzungen zu nicht-tariflichen Bedingungen angeheuert worden waren, zu tariflichen Vertragsabschlüssen zu zwingen, wollten die Nordenhamer Hafenarbeiter sich nicht unbesehen solidarisieren. „Was passiert uns, wenn wir die Schiffe nicht beladen?“, fragen die sechs deutschen Männer im besten Hafenarbeiteralter vorsichtig – und versenkten am Kai die Hände im Blaumann.

Auf die konkreten Fragen der Arbeiter allerdings wußte auch die eigens angereiste Unterstützercombo von 17 Gewerkschaftern, vom ÖTV-Kreissekretär Wesermarsch über den frühberenteten Bremer Hafenarbeiter bis zum arbeitslosen Kapitän aus Bad Zwischenahn keine sichere Antwort. Denn ihr Anliegen war es vor allem, darauf aufmerksam zu machen, was passiert, wenn die Hafenarbeiter sich bei derartigen Aufrufen nicht solidarisieren: „Dann werdet Ihr bald das Gefühl haben, Ihr werdet wie von einer Dampfwalze überrollt“, warnte der Bremer ITF-Inspektor Ulrich Juergens, zuletzt selbst als Kapitän auf der MV Greenpeace unterwegs, die Midgard-Arbeiter.

In der Kantine der Spätschicht malte er grausige Szenarien von gewerkschaftsfreien Häfen und Lohnsenkungen an die Wand, wie sie auf ausgeflaggten Schiffen bereits existieren. „Internationalen Reedern werden komplette burmesische Besatzungen angeboten, die garantiert nie streiken“. Solchen Seeleuten beispielsweise drohe nach ihrer Rückkehr die Gefängisstrafe, schildert er die drastischsten Fälle von Ausbeutung zur See. „Und natürlich bekommt keiner eine Krankenvericherung, geschweige denn einen ordentlichen Lohn.“ Da könnten deutsche Arbeiter nicht so einfach sagen, „sollen die doch selbst für ihre Interessen kämpfen“, argumentiert der ITF-Mann Juergens. Und noch was: „Glaubt doch nicht, das geht an Euch vorbei. Die auf den Schiffen sind nur die ersten, die für Dumping-Löhne arbeiten.

Daß sie die nächsten sein würden, die „im Kampf gegen Reederinteressen verlieren“, bewegte die Hafenarbeiter nicht zur Aktion. Der Aufruf der ITF stieß im Midgard Hafen, der vor allem durch Rüstungs- und Tropenholzimporte zu zweifelhaftem Ruhm gelangt war, auf taube Ohren. „Bei einigen Kollegen ist der Groschen noch nicht gefallen“, resümiert der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Herms die Niederlage der angereisten Gewerkschafter-Delegation vor den Midgardern. Eine Einschränkung hat er allerdings doch: „Wir haben die Informationen über die Aktionswoche erst am Freitag bekommen. Im Schichtbetrieb ist es nicht einfach, alle Kollegen so schnell zu erreichen.“

Im Midgard Hafen war am Montag morgen ein Frachtschiff unter liberianischer Flagge eingelaufen, an Bord eine siebenköpfige Besatzung aus Kroatien, die zu unklaren Bedingungen arbeiten. Ihre Papiere wollen sie dem ITF-Inspektor nicht zeigen. Dafür versichert Christian Suhr, als technischer Direktor der zuständigen Hamburger Ahrenkiel-Gruppe eigens „eingeflogen“, wie gut es der Besatzung geht: Unter deutschen Tarifbedingungen stünden die Männer, die unter Vier-Monats-Verträgen arbeiten, zu Hause „fast wie Millionäre“ da. Der 42jährige Kapitän relativiert vorsichtig: „Die Lebensmittelpreise bei uns sind dieselben.“ Ein junger Seemann bestätigt der Journalistin verstohlen: „Nein, der Kapitän wird nicht sagen, was er denkt.“

Draußen stehen die Midgard-Arbeiter. Mit den Schiffsbesatzung haben sie noch kein Wort gewechselt. Aber schon nehmen sie die Hände wieder aus dem Blaumann. Ihre Entscheidung ist gefallen: Bei ihnen wird es keinen Boykott für Billigflaggen-Schiffe geben. ede

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