Jenseits von Mottram Hall
: Mehmetissimo!

■ Der beste Deutsche kann dribbeln, zaubern – und auf der Bank sitzen

Es war in der Halbzeit des EM-Qualifikationsspiels gegen Bulgarien in Berlin. Die Reservisten Bobic, Kahn und Mehmet Scholl wärmten sich in ihren Trainingsanzügen ein wenig auf. Bobic stand im Tor, Kahn und Scholl nahmen ihn unter Beschuß. Wer Kahn beim Toreschießen zusah, geriet in Versuchung, den orthopädischen Notdienst anzurufen. Wer Mehmet Scholl zusah, hatte seine 56 Mark Eintrittgeld schon in dieser einen Viertelstunde

Das ist Manfred KRIENER

Sein Spieler: Scholl (logisch)

Sein Team: Deutschland (sie

sind blond, sie sind blauäugig,

sie sind klasse!)

Europameister wird: England

(der Rinderwahnsinn hat einen

nationalen Taumel bewirkt,

der ungeahnte Kräfte freisetzt)

ästhetisch rentierlich angelegt. Außenrist, Innenrist, Außenrist, abtropfen lassen, volley in den Winkel. Ellipsen, Bananen, rechte Geraden, ballistische Streicheleinheiten. Federleicht, hochelegent, hinreißend! Eine Mischung aus Ministrant, Genius und Millionario zauberte mit dem Ball, immer das Ende des Trikotärmels in der geschlossenen Hand eingeklemmt – sein Markenzeichen.

Später kam das Bayern-Spiel in Barcelona. Noch mit Rehhagel, der Scholl nicht leiden kann, weil ihm der Kleine vor 50.000 Zuschauern zu verstehen gab: „Halt's Maul, du alter Wichser!“ Wir wollen darauf nicht näher eingehen, wohl aber auf das Spiel gegen die Katalanen. Es war Scholl bestes Spiel. Gegen eine Weltklassemannschaft zeigte er, was in Deutschland seit dem Absturz von Thomas Doll, seit Thomas Häßlers allmählicher Ermüdung, seit Stan Libuda und Wolfram Wuttke niemand mehr so zelebriert hat. Überraschungsfußball, Spielwitz, Dribblings, Hakenschlagen, Pässe aus der anderen Milchstraße. Natürlich schoß er auch noch ein Tor.

Daß einer wie Mehmet Scholl (25) jetzt auf der Reservebank sitzt, ist in Deutschland konsequent. Auch Rehhagel ließ ihn dort Platz nehmen, weil er im Zweikampf nicht robust genug sei. Untauglich für teutonische Fußballarbeit. Schon dieses Urteil sagt alles über die fußballerische Kompetenz Ottos.

Aber auch Berti Vogts wird ihn auf der Bank schmoren lassen, zusammen mit dem derzeit Zweitbesten, mit Mario Basler. Der beste deutsche Spieler kommt erst nach Verletzungen oder Pleiten, Pech und Pannen der Resttruppe zum Einsatz. Wir müssen hoffen und warten.

Aber wir wissen: Mehmet Scholl ist ein wunderbarer Fußballspieler. Daß er für Bravo- Sport, Magic-Sport, Bild und andere pubertierende Zentralorgane zum Teenie-Helden avanciert ist, daß die Mädchen in Weinkrämpfe fallen, wenn er den Trainingsplatz betritt, macht seine Dribblings nicht schlechter, seine Nominierung für die erste Elf nicht weniger dringlich. Und noch was: Sein vielzitierter Spruch „Hängt die Grünen auf, solange es noch Bäume gibt“, ist trotz möglicherweise irregeleiteter politischer Grundüberzeugungen beim zweiten Hinsehen nicht unwitzig. Joschka wird ihm verzeihen.

Wir wollen am Ende und kurz vor dem EM-Start einen anderen Vorzug Mehmet Scholls aber nicht vergessen: Seinen Namen. Bei allen großen und erfolgreichen Turnieren hat die deutsche Mannschaft stets durch eine umfängliche namentliche Infantilisierung geglänzt. Wir erinnern nur an Schimmi, Berti, Litti, Toni, Klinsi, Andi – vom Schiri mal ganz zu schweigen. Was würde in diese fußballerische Krabbelgruppe besser passen als unser Ministrant aus München. Mein lieber Scholli! Berti, nimm ihn, bitti, bitti! Manfred Kriener