Radio im demokratiefreien Raum

Die Sprachdienste der BBC sind in Krisengebieten oft die letzte freie Stimme – nun drohen Einsparungen  ■ Von Titus Kroder

Seit 1932 schickt die BBC von London aus Kurzwellen in den Äther. Rund um die Uhr zirkelt der Auslandsdienst des staatlichen britischen Hörfunks Radioprogramme in über vierzig Sprachen in die entlegensten Winkel des Planeten. 130 Millionen Menschen sollen es täglich sein, die am Radio nach der Frequenz aus London suchen. Diese weltweit unerreichte Einschaltquote ist bedroht, denn der britische Außenminister Malcolm Rifkind will wenigstens bei einem Wahlversprechen Wort halten – der Verringerung der Staatsausgaben.

Lebensader für Oppositionelle

Deshalb drohen dem vielsprachigen Aushängeschild der BBC drastische Kürzungen. Der babylonische Radiokoloß im Londoner Westend mit zweitausend Mitarbeitern soll 20 Millionen Pfund abspecken.

Doch vielen Briten sind die BBC-Auslandsprogramme ein wehmütiger Anknüpfungspunkt an das lange verblichene Empire. Die Regierung Major nimmt mit dem World Service ein Stück nationales Tafelsilber ins Visier. „Ich fürchte, was Diktatoren und Unterdrücker nicht geschafft haben, schaffen nun unsere eigenen Buchhalter: eine kräftige Stimme Großbritanniens zum Schweigen zu bringen“, beklagte die liberale Abgeordnete Emma Nicholson im Unterhaus.

„Ich weiß, daß alle Geiseln das gleiche sagen: Aber der World Service war meine Lebensader“, läßt Birmas – inzwischen aus dem Arrest entlassene – Oppositionelle Aung San Suu Kyi fast etwas verlegen mitteilen. Auch die Ex-Häftlinge Mandela und Gorbatschow lassen die kurze Welle aus London hochleben.

Am Horn von Afrika ist die Solidarität weniger prominent. Niemand wisse, wie viele Hörer dort der BBC lauschen, sagt die stellvertretende Leiterin des somalischen Sprachdienstes in Bush House, Maria Frauenrath.

Vor einem Radio sitzen 40 Leute

„Seit fünf Jahren gibt es dort keine Zentralregierung mehr. Warlords teilen das Land unter sich auf, Clanmilizen kontrollieren die Einflußsphären“, umreißt die deutsche Journalistin die Lage in ihrem Sendegebiet. Sie hat selbst zwei Jahre in der Region gearbeitet, sie kennt das politische Gewicht des somalischen Radioprogramms aus London. „Da sitzen zum Teil 40 Leute um einen einzigen Kurzwellenempfänger herum“, sagt sie und hält einen Hörerbrief in der Hand, der die zehnköpfige Redaktion in den Tagen erreichte, da der somalische Bürgerkrieg am heftigsten tobte. Darin wird berichtet, daß die Waffen täglich Schlag halb sechs Uhr abends schwiegen. Zu dieser Zeit schickt die BBC ihre wichtigste Kurzwellensendung in Somalisch über Relaisstationen auf Zypern und den Seychellen in das Land hinein. „Warum könnt ihr nicht 24 Stunden am Tag senden“, endet der Brief.

Wie kaum anderswo genießt die BBC in Somalia höchste Glaubwürdigkeit; dort, wo beinahe jede Radiostation im Sold irgendeines Clanführers steht. So nennt General Mohammad Farah Aidid, „Radio Mogadischu – Voice of the masses“ sein eigen. Just dieser Sender bezichtigte zuletzt am 21. Februar die BBC der „haltlosen Lügen“. Der somalische Dienst hatte aus verläßlicher Quelle erfahren, daß Aidid ergebene Einheiten den Diinsoor-Distrikt im Süden des Landes überfallen und eingenommen hätten. „Der hat das in seinem eigenen Radiosender als eine Art Arbeitsbesuch deklariert“, berichtet Maria Frauenrath. Aidids Radiosprecher appellierte mit Schaum vor dem Mund an alle Somalis, den Londoner Sender zu boykottieren.

Solche harschen Proteste gegen die BBC stehen im Wechsel mit Umarmungsversuchen seitens der Clanchefs. Je mehr die eigenen Rundfunkwaffen vor Ort abstumpfen, desto mehr suchen die rangelnden Clanchefs das seriöse Gewand des BBC-Interviews, um den Gang der Dinge zu beeinflussen. Und stets ist es für die Redakteure im 3. Stock von Bush House ein journalistisches Kunststück, den Wust schriller Propaganda zu tranchieren und stichhaltige Fakten für den somalischen Hörer aufzubereiten.

„Mr. Ali Mahdi is on the line“

Paradoxerweise liegt in der verfahrenen Situation gerade die Lebensversicherung des somalischen Sprachdienstes. „Als ich aus Somalia zurückkam und sagte, die Leute wollen sich nicht mehr länger abschlachten dort unten, hat man zu mir ironisch gesagt: Halt lieber den Mund, sonst gibt's euch nicht mehr lange“, sagt Maria Frauenrath. Doch das Budget des somalischen Dienstes sei erst kürzlich aufgestockt worden.

„Mr. Ali Mahdi is on the line“, ruft ein Mitarbeiter. Dem erbitterten Widersacher von General Aidid ist heute nach einem Telefoninterview mit dem World Service zumute. „Bombardiert ihn mit Fragen!“ ruft Maria Frauenrath dem Kollegen hinterher, der sich ins Studio aufmacht, um das Gespräch mit Ali Mahdi aufzuzeichnen. Dann fügt sie mit leiser Anerkennung hinzu: „Man kann ihn eigentlich alles fragen.“ Tatsächlich. Am Nachmittag des gleichen Tages dringt der sonst grimmige Clanchef in ausgeglichenes journalistisches Licht gerückt aus den Kurzwellenempfängern in Somalia.

„Erwischt es diesmal die Thais?“

„Alle Dienst in Bush House haben sich bewährt“, sagt Funkhauschef Sam Younger, um dann aber doch eine Einschränkung zu machen: „Natürlich ist die Welt zweigeteilt. In der einen Hälfte hat der World Service großen Einfluß. Das ist Afrika, die arabische Welt und Asien – vor allem China. Und in der anderen Hälfte geht unser Einfluß deutlich zurück. Ich nenne vor allem Westeuropa, auch immer mehr Osteuropa. Harte Entscheidungen sind zu treffen, wenn sich zeigt, daß das Geld nicht ausreicht.“

Die Regierung hat nur das Sparziel genannt: 20 Millionen. Die BBC soll selbst wählen, welche Auslandsprogramme künftig ganz verstummen oder leiser um den Globus geschickt werden. Das Ergebnis dieser Überlegungen demnächst den Journalisten von Bush House mitzuteilen ist Sache des 42jährigen Younger. Sprachdienste kommen und gehen in Bush House, wenn die außenpolitischen Interessen des Vereinten Königreichs es erfordern.

Gerüchte beherrschen die schmalen Korridore von Bush House. „Erwischt es diesmal die Finnen?“ – „Die Thais haben dem Vernehmen nach schlechte Karten.“ – „Nein, die Thais doch nicht! In Thailand wird die, für den chinesischen Dienst so wichtige neue Relaisstation gebaut. Die Chinesen stören nämlich die Londoner Kurzwellen in letzter Zeit wieder öfter. Und die Relaisstation in Hongkong muß irgendwie ersetzt werden, wenn die Kronkolonie an Peking fällt.“ Soviel steht fest. Rifkinds Rotstift scheint auf der Weltkarte doch einen großen Bogen um die demokratiefreien Zonen zu machen.