: Die Wiege der Solidarność steht still
Die ehemalige Lenin-Werft in Danzig muß Konkurs anmelden. Die Belegschaft kündigt massiven Widerstand an. Lech Walesa gibt die Schuld den Exkommunisten ■ Aus Warschau Gabriele Lesser
Die traditionsreiche Danziger Werft ist pleite. Noch am Freitag hatten Arbeiter in laufende Kameras gesagt: „Das können die nicht machen. Die können die Werft nicht schließen. Hier arbeiten über 7.000 Leute.“ Sie feierten die Schiffstaufe der „Pine Arrow“, die die norwegische Reederei Gearbulk Holding bestellt hatte. Eher optimistisch war auch Kristian Jebsen, der zum Stapellauf nach Danzig gekommen war: „Wir sind sehr zufrieden mit der Qualität der hier gebauten Schiffe. Wir beabsichtigen, auch in Zukunft hier unsere Schiffe zu ordern.“
Am Samstag dann kam das endgültige Aus. Die Aktionärsversammlung beschloß den Konkurs. Gegen den Mehrheitsaktionär, den polnischen Staat, der 61 Prozent der Aktien besitzt, hatte die Belegschaft keine Chance. Sie hält 21 Prozent des Aktienkapitals und stellt den Großteil der Kleinaktionäre.
Die Regierung, die bereits Anfang des Jahres für den Konkurs plädiert hatte, weigerte sich, das hochverschuldete Unternehmen finanziell zu unterstützen oder weitere Bürgschaften für die Banken zu geben. Es sei unmöglich, so hieß es in der Konkurserklärung, die Vorjahresschulden in Höhe von 61 Millionen Zloty (rund 35 Millionen Mark) zu begleichen. Die Gesamtschulden der Werft belaufen sich verschiedenen Angaben zufolge auf 350 bis 500 Millionen Zloty (200 bis 285 Millionen Mark).
Die Geschäftsführung hatte seit einigen Monaten Probleme, den Arbeitern ihren Lohn auszuzahlen. Die Demonstrationen und Warnstreiks der Arbeiter hatten daran nichts ändern können. Morgen sollen sie zumindest 65 Prozent des Lohnes für den Monat Mai erhalten. Den Rest will der Vorstandsvorsitzende Ryszard Goluch in den nächsten Tagen „organisieren“.
Die Gewerkschaft Solidarność, deren Geschichte untrennbar mit der früheren Lenin-Werft verbunden ist, hat massiven Widerstand angemeldet. „Wir sind zu sehr drastischen Aktionen bereit, damit man in Warschau begreift, daß hier 7.000 Menschen arbeiten“, erklärte Jerzy Borowczak, der Betriebsratsvorsitzende der Danziger Werft. Möglicherweise wird in den nächsten Tagen die ganze Innenstadt Danzigs lahmgelegt. Im Laufe des heutigen Tages sollen die Streiks und Demonstrationen koordiniert werden. Auch Lech Walesa, ehemaliger Elektriker auf der Werft, ehemaliger Arbeiterführer und Expräsident Polens, will notfalls mit streiken. „Die Werft hätte gerettet werden können“, glaubt Walesa. „Die Regierung aber hat den einfachsten Weg gewählt. Die Exkommunisten haben nun die Genugtuung, die Danziger Werft zerstört zu haben. Das haben sie ja seit langem geplant.“
Walesa wird allerdings auch vorgeworfen, daß er in seiner Zeit als Präsident zwar seinen früheren Arbeitgeber immer wieder vor dem Zusammenbruch bewahrte, so aber eine radikale Sanierung verhinderte, die etwa der Stettiner Werft gelungen sei.
Eine langfristige Planung für die Werftindustrie in Danzig liegt bislang nicht vor. Außer den Arbeitern in der Werft selbst sind auch viele Zulieferbetriebe betroffen. Der Bankrott der größten Werft Polens zieht deshalb möglicherweise ein Massensterben kleinerer und mittelständischer Unternehmen in der Region nach sich.
Aufgefangen werden soll diese Entwicklung durch eine Übergangsgesellschaft, die innerhalb von einem Jahr fünf Schiffe fertigbauen soll, die bereits auf der Helling liegen. Das zumindest hat die Aktionärsversammlung am Samstag beschlossen.
Wieslaw Kaczmarek, der Privatisierungsminister, hofft, daß rund zwei- bis dreitausend Arbeiter vorläufig weiterbeschäftigt werden können. Für Ryszard Goluch aber, den Direktor des Unternehmens, ist diese Übergangszeit „völlig unzureichend und inakzeptabel“. Die Folge werde sein, daß alle qualifizierten Werftarbeiter so schnell wie möglich auf einer anderen Werft anheuerten. Das sei dann das endgültig Aus der Werftindustrie in Danzig.
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