: Systemwechsel für Stromkonzerne
■ Bündnisgrüne stellen Entwurf für ein neues Energiegesetz vor und kommen damit der Bundesregierung zuvor
Berlin (taz) – Über sechzig Jahre nach der Installierung des bis heute gültigen Energiewirtschaftsgesetzes durch die Nazis wollen die Bündnisgrünen jetzt den Systemwechsel. Das gestern in Bonn von der energiepolitischen Sprecherin der Fraktion, Michaele Hustedt, vorgestellte Energiegesetz erhebt „die Schaffung einer Struktur, die den Klima- und Umweltschutz zum Gewinnprinzip macht“, zum zentralen Ziel – ohne auf die traditionellen Prinzipien Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung verzichten zu wollen. Faktisch würde die in dem Entwurf vorgeschlagene Entflechtung der großen Strom- und Energiekonzerne, wenn nicht ihre Zerschlagung, so doch eine weitreichende Einschränkung ihrer bisherigen Wirtschaftsmacht bedeuten.
Auch das Bonner Wirtschaftsministerium plant seit Jahren eine Reform der Energiewirtschaft. Schon Anfang 1997 soll sie in Kraft treten. Soweit die Vorstellungen der Bundesregierung bekanntgeworden sind, geht es ihr ebenfalls um die Einschränkung der durch Demarkationsverträge abgesicherten Gebietsmonopole, in die die Stromversorger die Bundesrepublik bisher aufteilen. Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) allerdings verfolgt ein Ziel, das nicht nur der Idee der Bündnisgrünen, sondern auch der ökologisch motivierten Energiedebatte der letzten fünfzehn Jahre zuwiderläuft: Er will durch Einführung von Wettbewerb in den Energiemarkt zu niedrigeren Strom- und Gaspreisen kommen, angeblich zum Nutzen des Standorts Deutschland. Niedrigere Preise dürften jedoch den Energieverbrauch erneut ankurbeln.
Von zentraler Bedeutung für die Grünen ist die Entflechtung der Energiekonzerne, konkret die Trennung von Energieerzeugung, -transport und -verteilung. Bleibe alles wie bisher in einer Hand, gebe es für Einsparung von Energie kein Interesse, zumal auf dem Stromsektor wegen der Fehlprognosen der siebziger Jahre immer noch horrende Überkapazitäten vorhanden seien. Der Stromtransport müsse künftig für jeden Anbieter „wirtschaftlich interessenunabhängig und nichtdiskriminierend“ erfolgen. So „marktwirtschaftlich neutralisiert“ könne das Netz in privater Hand bleiben. Wer in Zukunft zu viele Kraftwerke baut, bleibt eben auf seinem Strom sitzen. Fehlinvestitionen würden sich dann endlich auch in der Energiewirtschaft rächen.
Nach dem Gesetzentwurf soll der Preis für Elektrizität durch einen staatlich kontrollierten „Strompool“ über Angebot und Nachfrage gebildet werden. Die regionalen Verteilerunternehmen würden aus dem Pool so viel Strom kaufen, wie sie zur Versorgung ihrer Kunden benötigen, und diesen zusätzlich Energiedienstleistungen (Wärmedämmung, energiesparende Geräte oder Lampen) anbieten, wo diese sich rechnen. Die Verbraucher schließlich würden mit ihrer Energierechnung eine Mischung aus Energieangebot und Energiesparmaßnahmen bezahlen.
Markt und Wettbewerb also allenthalben – mit einer Ausnahme: Weil ökologisch korrekte Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Kraftwärmekopplung noch zu teuer ist, soll sie über einen zeitlich begrenzten „Vorrangmarkt“ bevorzugt abgenommen werden. Der Preis fossil erzeugten Stroms wird mit einem Öko-Zuschlag, der aus Atomenergie mit einem Gefährdungszuschlag belegt. Eine Art Energiesteuer durch die Hintertür, die die Bündnisgrünen feinfühlig „Korrekturfaktor“ nennen: abzuschaffen, wenn eine wirksame Energiesteuer Realität wird. Gerd Rosenkranz
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