: Nur viel Lärm um nichts?
Mißerfolgskette zerbrochen: Nach einem 0:0 gegen die Niederlande sagt Schottlands Manager Craig Brown auch England den Kampf an ■ Aus Birmingham Peter Unfried
Die Leute aus dem Distrikt Warwickshire müssen offensichtlich außergewöhnlich freundliche Leute sein. Speziell jene aus Stratford-upon-Avon. „Es ist fast so, als ob die Locals uns hier adoptiert hätten“, hat jedenfalls Craig Brown gesagt, der Teammanager der schottischen Fußballer, die hier residieren. „Die Spieler fühlen sich hier entspannt und glücklich.“
Das liegt, um ganz ehrlich zu sein, nun nicht ausschließlich an den Bewohnern der Shakespeare- Stadt, sondern insbesondere auch an den Geschehnissen von Birmingham. Das 0:0 gegen die Niederlande vom Montag ist für Brown und ganz Schottland mehr als ein Punktgewinn gewesen. „Wir haben die Kette zerbrochen“, sagt der Manager. Jene Auftaktspielkette: 0:1 gegen Dänemark in Mexiko 1986, 0:1 gegen Costa Rica in Italien 1990, 0:1 gegen die Niederlande in Schweden 1992. Jedesmal war Brown (55) dabei. Zunächst als niederer Gehilfe des heutigen Manchester-United-Managers Alex Ferguson, dann zweimal als Assistent von Andy Roxburgh, den er 1993 beerbte. „Ein Remis ist 100 Prozent mehr, als wir gewöhnt waren“, sagte er. „Eine Niederlage wäre deprimierend gewesen.“
Man hat den schottischen Anhang erleben müssen im ausverkauften Villa Park! Es handelte sich ganz ohne Zweifel um den ersten Höhepunkt dieser EM – und die Kulisse hatte immensen Anteil. Der Holte End Stand war komplett orange, der gegenüberliegende North Stand oben schottisch, unten holländisch. Und als die Schotten, die auf dem Rasen fighteten, in der letzten Viertelstunde „praktisch aus dem Spiel waren“, wie Bonds-Coach Guus Hiddink sagte – da hielten die auf den Rängen sie doch in der Partie. Natürlich mag man einwenden, die fußballerisch erbärmlichen Schotten hätten gegen den potentiell atemberaubenden Gegner unverschämtes Glück gehabt. Das sieht Brown auch so, doch der würde „es lieber auf vernünftige Organisation und solide Verteidigung“ zurückführen.
Es handelt sich hier eindeutig um ein höchst erstaunliches Stück Fußball: Da waren auf der einen Seite die elf Holländer, die alle Fußball spielen können. Auf der anderen die Schotten, bei denen der Leeds-Spielmacher Gary McAllister kann und andere wie der altgediente Linksverteidiger Stewart McKimmie auch mit 33 noch jeden Ball wegspringen lassen. Doch dafür fighten alle bis zum tatsächlich letzten Hecheln.
Und da ist der Trainer Craig Brown, den sie zu Hause gerne angepißt haben, weil er für Dundee gespielt hat, doch für Schottland nur als Schüler und Junior. Doch der Mann verbringt seine Tage auf den Motorways der Insel, um von Stadion zu Stadion zu hecheln. Und wenn er zu Hause ist, kuckt er Video. Brown hatte zweimal gegen die Niederlande verloren, nun aber jedes Ajax-Tor der letzten Saison gesehen, und sagt, er „wußte seit der Auslosung, daß wir gegen die mit einer Back Four spielen müssen“.
Brown selbst, muß man wissen, hat die Viererabwehr abgeschafft und 3–5–2 eingeführt. Aber: „Holland hat drei Stürmer, und da brauchst du die Back Four, sonst hätten wir nicht remis gespielt.“
Natürlich half den Schotten, daß die Holländer aus irgendeinem Grund das Tor nicht trafen – oder zumindest nicht an Andy Goram vorbei. Als der Rangers-Keeper früh eine Großchance von Seedorf vereitelt hatte, „gab das dem Team Selbstvertrauen“ (Brown). Das noch wuchs, als Schiedsrichter Leif Sundell ein Handspiel von Celtic- Mittelfeldspieler John Collins wegen Stellungsproblemen nicht als solches erkennen mochte. Selbst Brown gab zu, den „Elfmeter-Anspruch überlebt zu haben“.
Aber die Schotten haben bereits in der Qualifikation – San Marino hin, Färöer Inseln her – eine Fähigkeit nachgewiesen: „Spiele nicht zu verlieren“ (Brown). Nun ähneln sie allerdings darin verdächtig den Engländern, von denen Pelé sagt, sie spielten ausschließlich, um nicht zu verlieren.
Weil das stimmt, sind die Aussichten nicht gut, was das samstägliche Spiel der Rivalen im Londoner Wembley-Stadion angeht. „Es handelt sich“, glaubt aber Innenverteidiger Colin Hendry, „nun um leichtere Spiele, als das, das wir gegen die Holländer hatten.“ Für den blonden Blackburn-Spieler hat Brown dereinst den alten Helden Richard Gough geopfert, und Hendry hat es ihm gegen den kopfballstarken Bergkamp und später Kluivert wieder mit tadelsfreier Verteidigung gedankt.
„Wer weiß“, sagte er im Villa Park, „mit etwas Glück hätten wir sogar ein Tor geschossen.“ Doch das geht dann doch zu weit. Brown, der im übrigen ein ganz vernünftiger Bursche zu sein scheint, hat den Satz relativiert. Man werde, sagt er, immerhin versuchen, „unsere Leute in vordere Positionen zu bringen“.
Ob das klappt? „Ich will nicht sagen, daß wir die Engländer schlagen“, sagt Brown. „Aber ich sage, es wird für die ziemlich hart werden, uns zu schlagen.“
Viel Lärm um Nichts? Niemand will hier schnöde die Spannung klauen: Dennoch darf der Nichtschotte vermuten, daß Browns Leute mangels Toren auch diesmal die nächste Runde nicht erreichen.
Weil England sich aber ein Remis gegen die Niederlande gewünscht hatte, ist zumindest die Zuneigung in Stratford einstweilen weiter gestiegen. Und in den Köpfen der jubilierenden schottischen Anhänger hat sich folgender Frühsommernachtstraum längst verfestigt: Wer die widerspenstigen Holländer gezähmt hat, für den ist alles möglich. Ein Treffen mit dem lustigen Weib von Windsor am 30. Juni scheint dann allerdings doch nicht die Frage zu sein.
Schottland: Goram - Hendry, Boyd, Calderwood - McKimmie (85. Burley), McAllister, McCall, Gallacher (56. William McKinlay), Collins - Durie, Booth (46. Spencer)
Zuschauer: 39.000
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen