piwik no script img

Chemieindustrie will Schienen statt Gesetze

■ Gefahrguttransporte nehmen zu. Den Fabriken fehlt der Bahnanschluß

Berlin (AP/taz) – Der Schienenverkehr in Deutschland hat einen potenten Fürsprecher gefunden. Die 140 Unternehmen des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) forderten gestern in Bonn einen schnellen Ausbau der Bahninfrastruktur in Deutschland. So könne die Sicherheit von Chemietransporten am ehesten erhöht werden, sagte der Vorsitzende des Verbands-Fachausschusses Transportsicherheit, Hans Kohl. Die Bahn sei für Chemietransporte das sicherste Verkehrsmittel. Sicher, aber schlecht erreichbar: Heute haben nach VCI-Angaben nur 15 bis 20 Prozent der Chemieunternehmen einen Gleisanschluß.

Der Ruf nach mehr Bahnstrecken ist auch das Eingeständnis des Scheiterns der Industrie. Entgegen allen Versprechungen ist es ihr in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Zahl der Gefahrguttransporte zu vermindern. Nicht einmal eine Steigerung bei der Zahl der Transporte ließ sich verhindern, mußte Kohl gestern einräumen.

Besonders gefahrenträchtig ist beim Transport von Chemikalien bisher die Schnittstelle zwischen verschiedenen Verkehrsträgern, wenn also etwa vom Lkw auf die Bahn umgeladen werden müsse. Kohl bedauerte, Unfälle mit gefährlichen Gütern wie am 1. Juni, als in Schönebeck bei Magdeburg Kesselwagen mit dem krebserregenden Vinylchlorid ausbrannten und 40.000 Menschen knapp einer Katastrophe entgingen, seien nicht auszuschließen.

Der VCI will nach dem Ruf nach mehr Schienen vor allem den Ruf nach schärferen Gesetzen vermeiden. Kohl sagte, der nach solchen Unfällen hörbare Ruf nach mehr Gesetzen sei „problematisch“. In den vergangenen zwei Jahren hätten die Unternehmen 30.000 Seiten neue Vorschriften zur Transportsicherheit erhalten.

Konkrete Vorschläge zur Verlagerung von mehr Gefahrguttransporten konnte die VCI-Zentrale gestern nicht machen. Seit 1990 gibt es zwar eine Vereinbarung zwischen der chemischen Industrie und der Deutschen Bahn, nach der so viele Gefahrguttransporte wie wirtschaftlich vertretbar auf der Bahn stattfinden sollen. Zu einer Ausstattung von mehr Chemiestandorten mit Bahnanschlüssen hat dies nicht geführt. ten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen