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Neue Heimat Internet?

In den nächsten Monaten werden sich die fast fünf Millionen CompuServe-Kunden wohl auf einiges gefaßt machen müssen. Der Onlinedienst aus Columbus, Ohio wird seine gesamte Technologie dem Internetstandard anpassen. Einige der neueren Angebote wie zum Beispiel der Flugplan der Lufthansa kommen bereits jetzt als ganz normale Homepages daher und können mit jedem Browser angeklickt werden. Für alte Kunden ist das ein Stück Heimatverlust.

Es mag ja einerseits zu begrüßen sein, daß CompuServe seine Dienste nun auch den etwa 40 Millionen WWW-Nutzern öffnet (wobei einiges trotzdem nur für die eigenen Kunden zugänglich sein wird). Einzelanbieter müssen jetzt nicht mehr doppelt präsent sein. Andererseits wird es besonders für diejenigen schwierig, die sich an den für alle Systeme einheitlichen und bewährten „CompuServe Information Manager“ gewöhnt haben. Sie haben damit fleißig E-Mails und Dateien verschickt, haben sich ihre Software- Updates geholt oder an Forumsdiskussionen teilgenommen. Von alten Gewohnheiten trennt man sich nicht so leicht – und wenn ich ehrlich bin: Auch ich möchte trotz jahrelanger Internet-Erfahrung nur sehr ungern auf die vertraute CIM-Wohnstube im Ostküstenbarock verzichten und mich mit

allem, was ich zu beklicken habe, in die zugige Bahnhofshalle des World Wide Web begeben. Alle zwei Meter muß ich mich dort auf Überraschungen unterschiedlichster Art gefaßt machen. Ich liebe diese Überraschungen, aber manchmal, nur manchmal, da möchte ich meine Ruhe haben und unmolestiert vor mich hin klicken. Dafür ist das CIM-Programm ideal: einfache, klare Strukturen und auch kein Error 404. Fast wie zu alten Crosspoint- Zeiten, nur bequemer.

Auch die Allianz mit Microsoft erscheint mir unheilig: CompuServe macht Bill Gates' Internet- Explorer zum Standard-Browser, und auch die Serversoftware soll von Microsoft kommen, alles unter dem Codenamen „Normandy“. Das klingt nach Invasion. Damit wird dann sicher WOW! entwickelt, das tolle CompuServe-Familienprogramm mit Angeboten aus der Musikszene im besten Bravo-Stil („Hallo, Leute!“) und Sportlern, die nach dem Wettkampf an die Tastatur gezerrt werden („mental, äh, war ich heut gut drauf“). Für viele ist auch der Internet-Explorer nur deshalb schlechter als der Netscape-Browser, weil er von Microsoft kommt – eine Haltung, die ich sehr gut nachvollziehen kann, obwohl es dafür bei Licht betrachtet keinen Grund gibt. Die meisten Entscheidungen werden emotional gefällt – auch im Internet.

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