Die Möwe in der Mauser

■ Der Künstlerklub ist aus der Luisenstraße ins Palais am Festungsgraben gezogen

Irgendwie hatte dieser Ort was Exklusives. Im wahrsten Sinne des Wortes: Für die meisten endete ein Besuch des Künstlerklubs „Die Möwe“ dort, wo die wenigen Glücklichen, die es geschafft hatten, ihre Mäntel ließen. An der Garderobe wurde aussortiert. Da half nichts, weder Weh noch Ach, und harte Westmärker schon gleich gar nicht. Wer nicht Mitglied im Kulturbund war oder zumindest in Begleitung eines gewichtigen Fürsprechers, mußte draußen bleiben. Kurzum: Was sich in dem Lokal in der Luisenstraße 18 allabendlich abspielte, blieb für Normalsterbliche jahrzehntelang ein bittersüßes Geheimnis.

Doch mit der Mauer fiel auch die Bastion des reinen Künstlertums. Vorübergehend mit bis zu 43 ABM-Stellen ausgestattet, hielt sich die Möwe in den folgenden Jahren über Wasser. Im Juni 1995 aber gingen dann in der Luisenstraße endgültig die Lichter aus. In das Gebäude, mittlerweile im Besitz der Hamburger Landesbank, wird demnächst die Vertretung des Landes Hamburg einziehen.

Nun feiert der Künstlerklub pünktlich zum 50jährigen Bestehen seine wundersame Auferstehung. Dank der Unterstützung des Bezirks Mitte konnten im Palais am Festungsgraben in unmittelbarer Nähe von Staatsoper und Maxim-Gorki-Theater neue Räume gefunden werden, in denen sich der Klub ab September wieder zu einem Treffpunkt für Künstler und Kunstinteressierte mausern soll. „Die Möwe ist gelandet“, verkündete die Schauspielerin Renate Heymer, ehrenamtliche Vorständlerin des Künstlerklubs. Heymer und ihre MitstreiterInnen haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt: Eine Kooperation mit den Berliner Filmfestspielen ist geplant, mit Otto Sander will man Lesungen veranstalten, den Schauspieler Horst „Hotte“ Buchholz für prominent besetzte Talkrunden gewinnen. Fürs Kulinarische ist Aris Papageorgiou zuständig, der zuvor 18 Jahre lang in der Charlottenburger Fasanenstraße das Promirestaurant Fofi's leitete.

Gegründet wurde die Möwe, die ihren Namen in Anlehnung an Anton Tschechows berühmtes Theaterstück erhielt, am 15. Juni 1946. Auf Betreiben der sowjetischen Militärs wollte man ursprünglich die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und der UdSSR fördern. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die damaligen Größen der Berliner Film- und Theaterszene: Friedrich Wolf, Ernst Weinert, Hans Albers, Rudolf Platte und Ernst Busch.

In den fünfziger und sechziger Jahren wurde das Publikum zusehends internationaler. Es kamen der junge Yves Montand und Vittorio de Sica, Simone Signoret und Sophia Loren. In der Möwe wurde nicht nur gesoffen und politisiert: Eine damals landesweit einmalige Theaterbibliothek entstand. Ihre Schätze werden heute von der Akademie der Künste verwaltet. Indes blieb auch die Möwe von der paranoiden Kulturpolitik der DDR-Regierung, die den Künstlerklub zwischenzeitlich in ihre Obhut übernommen hatte, nicht verschont. Zwangsschließungen und Überwachung wechselten sich ab mit politischen Tauwetterphasen und großzügiger Förderung.

Und jetzt also der Neuanfang. Trotz günstiger Lage und mit 3.000 Mark monatlich vergleichsweise moderater Miete hält sich die Zuversicht des auf 50 Mitglieder geschrumpften Vereins in Grenzen. Unsicher ist vor allem, wie sollte es anders sein, die Finanzierung. Die Hoffnung auf öffentliche Fördermittel hat sich als trügerisch erwiesen. Die eigene Substanz reicht für neun Monate Überleben, heißt es. Bis dahin müsse die Möwe, so Vorstandsmitglied Annette Purfürst, selber fliegen gelernt haben. Sie wird es schaffen. Ulrich Clewing