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Am Metkessel

„Appell der 100“: Hintergründe zu einer Anzeige rechter Akademiker in der „FAZ“ vom 17. Mai  ■ Von Peter Bierl

Vom 15. bis zum 23. Juni findet die „6. Hetendorfer Tagungswoche“ alter und junger Nazis nördlich von Celle statt. Wenn sich die Rechtsradikalen auf dem mit Stacheldraht abgeschirmten rund 7.000 Quadratmeter großen Gelände treffen, dann ist auch Helmut Schröcke dabei. Schröcke, emeritierter Mineraloge aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck bei München, fungierte vor vier Wochen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Kontaktperson in einer Anzeige (die taz berichtete). Darin forderten rechte Akademiker Meinungsfreiheit für Geschichtsfälscher.

Der Text des Inserats („Appell der 100“) bezog sich solidarisierend auf nicht näher bezeichnete Personen, die wegen „begründeter Äußerungen zu bestimmten Fragen der Zeitgeschichte“ mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten sind. Fein ausgedrückt. Dabei geht es um die Leugnung des Holocausts.

In Hetendorf kommen am Wochenende Organisationen wie die „Artgemeinschaft“, die rassistische „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“, der „Nordische Ring e. V.“ und die „Northern League“ zusammen. Hintermann des Hetendorfer Zentrums und Funktionär zahlreicher dieser Vereine ist der Nazi und Rechtsanwalt Jürgen Rieger. Das Programm verzeichnet neben Mitgliederversammlungen, „Germanischem Sechskampf“ und einem „fröhlichen Abend um den Metkessel“ auch Vorträge über Elfen. Und der FAZ-Anzeigenkunde Helmut Schröcke hält seinen Lichtbildervortrag „Siebenbürgen – die Kulturleistungen eines deutschen Stammes“.

Der Mineralogieprofessor Schröcke geriet in den achtziger Jahren selbst zweimal wegen rassistischer Betätigung in die Schlagzeilen. Anfang 1982 protestierten Münchner Studenten gegen ihn, als bekannt wurde, daß Schröcke das sogenannte Heidelberger Manifest unterschrieben hatte. Darin heißt es: „Die Integration großer Massen nichtdeutscher Ausländer ist bei gleichzeitiger Erhaltung unseres Volkes nicht möglich.“ Schröcke verbarrikadierte sich vor den Studenten in einem Vorlesungsraum und rief die Polizei.

Als die damalige FDP-Landtagsabgeordnete Ursel Redepenning vom bayerischen Kultusministerium eine Stellungnahme zum Treiben des Professors verlangte, wiegelte der Amtsinhaber Hans Maier (CSU) ab: Man solle das Manifest „nicht ernster nehmen, als es das verdient“, heutzutage werde „viel Unsinn unterzeichnet“.

1985 forderte der damalige IG- Metall-Vorstand Willi Sturm, Schröcke die Lehrerlaubnis zu entziehen. Der hatte zusammen mit den Professoren Heinrich Schade und Robert Hepp die Broschüre „Deutschland – ohne Deutsche“ herausgebracht. Schröcke wird von der Münchner Universität erst ab 1987 als emeritiert geführt.

Die besagte Broschüre ist im Tübinger Grabert-Verlag erschienen, gegen den seit 1995 ein Verfahren wegen Volksverhetzung läuft. Der rassistische „Schutzbund für das deutsche Volk“ wirbt bis heute auf seinen Flugblättern für die Schröcke-Broschüre, ohne die Autoren namentlich zu erwähnen.

Weitere Hiwneise auf die Zielsetzung des „Appells der 100“ liefert der Kreis der übrigen 53 namentlich aufgeführten Unterstützer. Professor Richard W. Eichler beispielsweise ist Mitglied des „Institutes für deutsche Nachkriegsgeschichte“, das wiederum von Rolf Kosiek geleitet wird, einem ehemaligen baden-württembergischen NPD-Landtagsabgeordneten und Chef der rechtsextremen „Gesellschaft für freie Publizistik“. Bücher von Kosiek erscheinen ebenso im Grabert-Verlag wie Eichlers Schriften. Dessen Spezialgebiet ist, die moderne abstrakte Malerei als „entartet“ zu diffamieren.

Mit dabei ist auch Professor Emil Schlee, von 1979 bis 1985 Ministerialrat im Sozialministerium von Schleswig-Holstein und bis 1984 CDU-Mitglied. Sein Beitritt zu den „Republikanern“ veranlaßte Friedrich Karl Fromme 1988 in einem FAZ-Kommentar zu der Behauptung, nun könne man diese Partei nicht mehr als „rechtsradikal“ bezeichnen. Schlee stieg in die Rep-Führungsriege auf, war Leiter der Programmkommission und Europaabgeordneter.

Die Appell-Unterzeichner Alfred Ardelt, Harald Bachmann, Eichler, Hans Schmidt und Schröcke steuerten Aufsätze bei für ein Buch von Rolf-Josef Eibicht über den 1993 verstorbenen rechten Historiker Hellmut Diwald. Untertitel: „Sein Vermächtnis für Deutschland. Sein Mut zur Geschichte“.

Schröcke fabuliert in seinem Beitrag über „das Dasein des letzten bis 1945 weitgehend unvermischt gebliebenen größeren Volkes der indogermanischen Völkerfamilie, das jetzt in der multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft der EG und ihrer beabsichtigten Weiterenwicklung seine Endlösung finden soll“. Und weiter heißt es in dem Schröcke-Beitrag: „Die Tragik, die aus seiner (Deutschlands, d. Red.) zentralen und geopolitischen nach drei Seiten hin offenen Lage entsprang, war der dann folgende Niedergang dieses Reiches der Deutschen, bis nach einer erneuten Selbstfindung das Reich wieder im 31jährigen Krieg 1914 bis 1945 vernichtet wurde.“

Zum Hohn für die Opfer des deutschen Eroberungskriegs und des Holocausts berufen sich die Geschichtsfälscher auf die Meinungsfreiheit und können dabei die FAZ als Plattform benutzen. Auf der „Hetendorfer Tagung“ am Wochenende soll sich ein Referat dem „Hintergrund des Holocausts von Dresden“ widmen. Die Deutschen werden einmal mehr zu den wahren Opfern umgelogen.

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