: Allein erziehen, zusammen wohnen
■ Vorbildliche Hamburger Frauen-Wohnprojekte bei „Habitat II“ vorgestellt Von Heike Haarhoff
Es ist so ein Haus mit einer Eingangstür aus Glas, an der man sich dauernd die Nase plattdrücken möchte. Nicht, weil drinnen hinter der Scheibe obskure Gestalten mit unkonventionellem Lebenswandel hausten, es ist eher dieser neugierig-überraschte Blick, wieso ausgerechnet das genossenschaftliche Wohnprojekt „HausArbeit“ für alleinerziehende Frauen mitten in Ottensen zeigt, daß zwischen „bewohnbaren“ und „wohnlichen“ Gebäuden Welten liegen.
Auf der zweiten UN-Weltsiedlungskonferenz „Habitat II“ in Istanbul sind das Selbsthilfeprojekt „HausArbeit“ in der Bergiusstraße sowie das benachbarte Wohnhaus „Frauen leben zusammen“ (Erdmannstraße) jetzt erstmals international vorgestellt worden. Das Deutsche Nationalkomitee wählte die Hamburger Vorzeigeobjekte als zwei von 14 beispielhaften Modellen für eine „nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung“ aus.
Das Treppenhaus in der Bergiusstraße 22 ist hell. Schuhe stapeln sich, Getränkekartons, ein paar Wäscheständer, Blumen. Im Gemeinschaftsgarten wurden Sandschaufeln vergessen. Wem die gehören, zeigen die Fotos an der Hauswand: Zwölf Frauen wohnen hier, manche mit Kindern, manche ohne, manche – wieder – mit Mann.
„Wir sind in allem ganz undogmatisch, und deshalb funktioniert diese Hausgemeinschaft auch so super.“ Ulrike Hoppe, Gründungsmitglied von „HausArbeit e.G.“, wohnt mit ihrer Tochter ganz oben im vierten Stock. Hohe Wände, verwinkelte Zimmer, Holzfußboden, große Wohnküche, Balkon. „Das Haus ist 1994 fertig geworden“, sagt sie. „Wirklich.“
Als die Bewohnerinnen das Gebäude mit der Hamburger Architektin Iris Neitmann planten, wollten sie viel Licht und Grundrisse, die jeder Frau ein eigenes Zimmer schaffen. Und eben diesen Altbau-Charme. Mit Fördermitteln des sozialen Wohnungsbaus.
Das war im Frühjahr 1991. Architektin Neitmann wollte das städtische Grundstück für ein Frauenwohnprojekt gewinnen. „Binnen sechs Wochen“, erinnert sich Ulrike Hoppe, wurden interessierte Frauen zusammengetrommelt, den Behörden ein Finanzierungsplan und Nutzungskonzept vorgelegt. „Wir mußten sehr pragmatisch vorgehen.“ Das schnelle Handeln hat zum Erfolg des Projekts beigetragen: „Bei uns gab es keine quälenden Wartezeiten, die viele Gruppen wieder auseinanderreißen.“
Keine der Ottenser Frauen würde freiwillig ausziehen. „Die Schuldgefühle, deinem Kind kein ,normales' Familienleben zu bieten, sind in so einem Haus plötzlich weg“, sagt Historikerin Hoppe. Eine riesige WG wurde bewußt vermieden, „aber wer allein erzieht, weiß, worauf es ankommt, wenn die Nachbarin krank ist“. Die Toleranz im Stadtteil fördert das Wohlbefinden. „In Vororten wie Rahlstedt würde so ein buntes Projekt schief angeguckt.“ „HausArbeit“ war 1994 das erste bezugsfertige Frauenwohnprojekt Hamburgs; wenig später folgte „Frauen leben zusammen“ mit sechs Miet-Wohnungen, gebaut von der Architektin Beata Huke-Schubert. Entsprechend gering war die Erfahrung von Behörden und selbst alternativen Baubetreuern. Also gründeten die Frauen ohne fremde Hilfe eine Genossenschaft, die die Gemeinnützigkeit nachwies. Sie lernten, Jahresbilanzen zu verfassen, mit den Behörden Belegungsrechte und mit den Banken Kredite auszuhandeln: 15 Prozent der Baukosten mußten als Eigenanteil erbracht werden; der Rest wurde öffentlich gefördert. „Ein halbes Jurastudium, und trotzdem blieben viele Wünsche wie ökologische Baustoffe und ein Gemeinschaftsraum unerfüllt“, stöhnt Ulrike Hoppe: „Die letzte Instanz ist auch bei Alternativ-Projekten das Portemonnaie.“ Ohne die Zähigkeit und die Erfahrung vieler Frauen mit Selbsthilfe-Inis „wären wir vielleicht gescheitert“.
In Hamburg gibt es 41.000 Alleinerziehenden-Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren. 90 Prozent ihrer Vorstände sind Frauen. Dennoch sind selbstverwaltete Wohnprojekte weder hier noch anderswo selbstverständlich. Als pauschale Wohnlösung sind sie ebenso ungeeignet, wie sie sich nicht beliebig auf die Bedürfnisse anderer Länder und Kulturen übertragen lassen. Das bestätigt Josef Bura, Sozialwissenschaftler und Co-Autor der Begleitforschung „Alleinerziehenden-Selbsthilfeprojekte Hamburg-Altona“ im Auftrag des Bundesministeriums für Raumordnung, nach seinem Besuch bei „Habitat II“: „Städte wie Shanghai, die jährlich um bis zu eine Million Menschen wachsen, müssen erstmal die Grundwohnversorgung sichern. Auch mit Hochhäusern.“ Andererseits halten er und Ulrike Hoppe „die Wohnbedürfnisse von Frauen für weltweit durchaus vergleichbar“, den Austausch mit Projekten aus Afrika oder Lateinamerika hochspannend.
In nächster Zeit werden wohl direkte Nachbarinnen ratsuchend durch die Glastür kommen: Der Grundstein für das Projekt „Frauenwohnen“ in der Kieler Straße 652 wurde am Freitag gelegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen