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Protest gegen Kita-Gebühren

■ Klage vorbereitet / Pastor: „Realitätsfremde“ Berechnungsgrundlage

Über Monate wurde darüber gestritten, welches Chaos ausbrechen wird und welche Prozeßflut, wenn der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die Dreijährigen, der mit dem restriktiveren §218-Abtreibungsrecht versprochen wurde, eingelöst werden muß. Auch in Bremen hat die für die Kita-Plätze zuständige Sozialbehörde nicht so vorgesorgt, daß für die traditionell abgewiesenene Kinderzahl neue Plätze hätten bereitgestellt werden können.

Mit einer ganz anderen Maßnahme hat der Bremer Senat für sich das Problem vom Tisch gewischt: Die Kita-Gebühren wurden so deutlich erhöht, daß die Zahl der Anmeldungen in Kitas gesunken ist. „Spielkreise“, die nur pauschal 70 Mark im Monat für stundenweise Betreuung an zwei Tagen in der Woche kosten, sind stattdessen überlaufen, auch die (kostenlosen) Vorklassen sind voller als sonst. Vom Gesamtelternbeirat der evangelischen Kindertagesstätten werden in diesen Tagen Vordrucke für einen Widerspruch gegen die neuen Gebührenbescheide verbreitet, eine juristische Arbeitsgruppe diverser Anwälte will in einzelnen Verfahren die neuen Gebühren überprüfen lassen. Gleichzeitig bereitet der Rechtsanwalt Dieter Pohl eine Normenkontrollklage gegen die Gebührenerhöhung „um bis zu 50 Prozent“ vor. Begründung des Juristen: Die Kosten der Kita-Betreuung haben sich nicht vergleichbar erhöht, und die Gebührenerhöhung unterläuft den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz.

Bei den Kitas trifft die Gebührenschraube vor allem diejenigen, die deutlich mehr finanzielle Belastung durch ihre Wohnung haben als die in der Kita-Beitragsberechnung anerkannten 835 Mark: Junge Familien, die ein Haus gekauft und scharf kalkuliert haben, bis zu welcher Höhe sie Kredite abzahlen können. Weil er davon viele in seiner Gemeinde hat und auch unter den Anmeldungen für die kirchliche Kita, hat der Arster Pastor Joachim Stoevesandt im Frühjahr an die Sozialbehörde geschrieben. „Die Bemessung der Kita-Beiträge muß geändert werden“, erklärte er, weil sie die „Wirklichkeit vieler Familien“ nicht berücksichtige. Monatliche Zinsbelastungen bei 2.000 Mark und darüber seien üblich, also mehr als das doppelte der anerkannten 835 Mark Wohnungskosten. „Die sehr genau kalkulierte Lebensplanung“ dieser Familien, die sich bremisch „staatstragend“ verhalten und in Bremen gebaut hätten, argumentiert der Pastor, würde nun durch die drastische Erhöhung für diese mittleren Einkommen untergraben. „Es gibt Familien, bei denen in -Urlaub-fahren in den nächsten Jahren einfach nicht drin ist“, schreibt der Pastor aus seiner Kenntnis der Gemeinde. Die Bemessungsgrundlage für die Anrechnung von Mietkosten sei überholt und werde diesem Personenkreis nicht gerecht. In der Gemeinde von Pastor Stoevesandt haben viele Familien auch die andere Konsequenz gezogen, ihre Kinder nicht in Kita anzumelden. In der Kita Engelkenstraße mußten drei Gruppen geschlossen werden, in der Kita Stichnathstraße eine. Nur die kirchliche Kita in Arsten hat alle Gruppen wieder voll bekommen.

Die Sozialbehörde antwortete dem Pastor, daß bekannt sei, daß „die bestehende Regelung nicht allen Familien gerecht werden kann“. Trotzdem sei es nicht das Problem der Sozialbehörde: „Ich sehe für Ihr Problem“, heißt es in der Antwort an den Pastor, „unter den derzeitigen Bedingungen keine Lösungsmöglichkeit“. In Einzelfällen würde die Sozialbehörde eine Ausnahme machen, da werde aus Steuergeldern ein Zuschuß bewilligt. Auch die kirchlichen Einrichtungen seien frei, einen Zuschuß zu zahlen, den zahle aber nicht der Staat, den müßten die Gemeinden wohl selbst übernehmen: „Mit freundlichen Grüßen...“

Die Leiterin der Kita Arsten hat einen dieser „Einzelfälle“ in denen ein Kind ausdrücklich wegen der gestiegenen Beiträge nicht angemeldet wurde, überprüft. Ergebnis: „Wenn wir in diesem Fall einen Teil der Kosten übernehmen würden, dann müßten wir das für die Hälfte des Kindergartens tun“, sagt die Kita-Leiterin Wessler-Kühl. Es gehe nicht um „Einzelfälle“, sondern um ein Gebührensystem, das die wirklichen Lebensumstände nicht berücksichtige. K.W.

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