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Buddhas, Bier und Pommes frites

■ Autonauten auf der Kosmosbahn: Julio Cortázar und Carol Dunlop haben sämtliche Autobahnrastplätze zwischen Paris und Marseille besucht

Im Grunde herrscht ja der Trieb auf der Autobahn, und zwar so offensichtlich und geradeheraus, daß man sich wundert, nicht auf jedem Rastplatz feldforschenden Psychologen zu begegnen. Als sich der Argentinier Julio Cortázar im Juni 1982 zusammen mit seiner kanadischen Lebensgefährtin Carol Dunlop aufmachte, sämtliche Rastplätze entlang der Autoroute Paris–Marseille anzusteuern, waren diese Nicht-Orte noch nicht einmal vom Feuilleton entdeckt, und entsprechend geheim hielt das Paar sogar vor Pariser Freunden die Expedition. Einen Monat lang wollten die beiden die Autobahn nicht verlassen, wobei sie mit ihrem VW-Bulli täglich zwei Rastplätze ansteuerten. Von Beginn an war geplant, über diese Reise ein Buch zu schreiben.

Der Suhrkamp-Verlag hat die Mischung aus Bordbuch, Dokumentation, Fotoroman, Liebesgeschichte, Tagebuch, fiktiven Exkursen und Briefen mit vierzehnjähriger Verspätung jetzt auf den deutschen Markt gebracht.

An Aktualität hat das Buch nichts eingebüßt, schließlich laufen die Rastenden noch immer mit der gleichen Eile zu den Klos und „den besten Picknicktischen“, die Hunde springen ebenso wild umher wie die für Viertelstunden freigelassenen Kinder. Und wo immer Cortázar oder Dunlop den durch ihren langen Aufenthalt geschulten Blick auf solche typischen Verhaltensweisen und Szenen schweifen lassen, ist ihr Buch brillant: „Die großen Rastplätze mit Tankstelle, Laden und fast immer einem Restaurant erleben jede Nacht die Entstehung einer kurzlebigen, schillernden, kleinen Stadt, die nur einmal existieren wird, um am nächsten Tag durch eine ähnliche, aber doch andere abgelöst zu werden. Plötzlich ist die Stadt vollständig, und es ist die internationalste der Welt, mit bulgarischen, französischen, deutschen, spanischen, griechischen, belgischen Häusern mit Aufschriften oder solchen Planen, die das Geheimnis bergen; [...] Häusern, in denen ein Paar wohnt oder ein Mann oder eine Frau allein, manchmal Hunde, manchmal Kinder, und immer Gaskocher, Flaschen mit Wein und Bier, der Duft von Suppe oder Pommes frites.“

Doch leider ist „Paris–Marseille“ nicht von Forschungsreisenden geschrieben, deren Neugierde sich primär auf die Menschen richtet. Vielmehr legen die Autoren Wert darauf, sich im Niemandsland des Rastplatzes jeweils ein möglichst abgeschiedenes, idyllisches Fleckchen zu sichern, wo sie sich mit intellektuellem Dünkel von der Masse der gehetzten Campingwagenbenutzer hedonistisch abzugrenzen versuchen. Aus dieser elitären Position teilen die beiden dem „bleichen Leser“ wie einem daheimgebliebenen Komplizen allerlei Intimitäten mit, die man oft lieber gar nicht wissen würde, beispielsweise daß sich Cortázar und Dunlop ununterbrochen „das Bärchen“ und „der Wolf“ nennen.

Mag sein, daß der etwas exhibitionistische Schreibstil damit zu tun hat, daß beide Autoren die Reise im Bewußtsein ihres bevorstehenden Todes angetreten sind, Dunlop starb ein halbes Jahr nach der Rückkehr an Krebs, Cortázar 1984. Die amateuerhaften Fotos hingegen vermitteln eine ganz andere, sehr sympathische Form von Privatheit: die Autorin beim Eisessen, der von der Hitze geplagte Autor auf geblümtem Liegestuhl im Schatten, aber auch Aufnahmen von käuflichen Buddhas in Autobahnshops, von formschönen Hunde-„Bars“, Naturschauspielen oder auch einem „Parallelpicknick belgischer Touristen“ am Nachbartisch. Wenn das Buch auch nicht die ultimative Lektüre über Autobahnraststätten ist – so wie Cortázar mit seiner Erzählung „Südliche Autobahn“ Godard die Inspiration für den Film „Weekend“ lieferte –, könnte „Die Autonauten auf der Kosmosbahn“ vielleicht manchen einsamen Langstreckenfahrer zu weitergehenden Recherchen motivieren. Dorothee Wenner

Julio Cortázar, Carol Dunlop: „Die Autonauten auf der Kosmosbahn. Eine zeitlose Reise Paris –Marseille“. Aus dem Spanischen übersetzt von Wilfried Böhringer. Suhrkamp Verlag. 360 Seiten, geb., zahlreiche Abb., 39,80 DM

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