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Die weltspiegelnden Kleinodien

■ „Kostbar und köstlich“ im Kunsthaus: Die Welt als leicht beliebige Kunst-Wunderkammer

Bildende Künstler heute lieben die Extreme: Entweder sie gestalten ganze Räume oder sie thematisieren gleich das Verschwinden. Kleine Objekte dagegen haben den Ruch des Beiläufigen und Gefälligen. Das muß nicht sein, dachte sich der Berufsverband Bildender Künstler und lud 75 Künstlerinnen und Künstler zur Verkaufsausstellung von Objekten, die das Maß 20 mal 20 mal 20 Zentimeter nicht überschreiten sollten. So könnte man von aktuellen Künstlern kleine Dinge erwarten, die vergegenständlichtes Weltverständnis zu einer aktuellen Wunderkammer sammeln. So gelte es, in Anknüpfung an Mittelalter und Manierismus, einen Abglanz unserer Welt in Kleinodien zu bannen, die gültig mit ins 21. Jahrhundert genommen werden könnten. Doch von den über 200 Objekten im Kunsthaus sind nur die wenigsten imstande, solche Ansprüche zu erfüllen oder wenigstens überzeugend zu ironisieren. Man vermißt die sichtende Hand eines Kurators, der für ein Konzept einsteht und zu Leichtgewichtiges oder Unpassendes aussortiert, damit Ausstellungstitel mehr als ein nur gefälliger Mantel werden.

Wehmütig tönt aus einem Kassettenrecorder Caruso durch den Raum, dessen Boden Uwe Ochsler mit Zuckerwürfeln bestreut hat. Schalen für Blut, Schweiß und Tränen bietet dagegen Helmut Ehlers, der Vorsitzende des Berufsverbandes. Sie sind aus Gips, dreisprachig beschriftet und wirken arg kümmerlich, denkt man an die prunkende Kunst der Reliquarien. Kleine Kästen, Minisammlungen für sich, erinnern das vermeindliche Paradies der Kindheit, und überraschend oft tauchen bunte Plastiktiere auf. Doch Kinderalltag ist kein Zuckerschlecken, weiß Marnie Moldenhauer, die einen Fahrradsattel mit Reißzwecken vergoldet und einen Kinderhausschuh mit Stahlstecknadeln versilbert hat.

Doch wo sind die wirklich kostbaren Dinge? Zu allererst wohl die beiden menschlichen Köpfe, lebendig auf Sockeln präsentiert. Jochen Wüstenfeld und Thomas Werner ließen sich zur gestrigen Eröffnung für Stunden so einmauern, daß nur dieser Teil von ihnen sichtbar blieb. Wertvolle Körperteile zeigen auch Anke Mellin mit einem Abguß des Bauchnabels als Mitte aller Dinge und Günter Knoll mit einem kalauernden Plüschpenis im Glassturz.

In Zeiten, in denen die Öko-Ritter den Künstlern den charismatischen Rang abgelaufen haben, wie Eröffnungsredner Joachim Buttler ausführte, werden natürlich auch Wasser, Luft und Erde als kostbare Dinge präsentiert. Eher köstlich dagegen die Blumen in Aspik von Ute Klapschuweit und die Pralinenkästen von David Neat, die beim näheren Hinsehen vielleicht doch eher Golfbälle, Drogen oder technische Künstlichkeiten enthalten.

Leider nur wenige Künstlerinnen ließen sich auf die Kunstgeschichte ein. Da sind von Marlene Günther neun Schreine aus Bilderrahmen und Gipsbinden, die Reproduktionen erotisch aufgeladener Gemälde so verborgen präsentieren, daß der Betrachter wie vor Jahrhunderten notwendig zum Voyeur wird, da ist der angebissene „Marienapfel“ von Simone Kurz, die die Mariendarstellung eines mexikanischen Schlüsselanhängers in die einst verbotene Frucht montiert und dabei in einem surrealen Witz zugleich die ganze Theologie von Evas Sündenfall zu Mariens Erlösung zusammenfaßt, und da sind die Leuchtkästen von Sabine Schiebler, die Fotos von Zellen mit den Händen von Primaten zu Mikro- und Makrokosmos verbindenden Evolutionssinnbildern zusammenmontiert.

Das beste Objekt von allen ist die Arbeit „Pfoten weg“ von Wolf von Waldow: In Sterlingsilber gesägt stützen vier bewaffnete Gartenzwerge den Mauerkranz des Himmlischen Jerusalems, in dem eine aufgeregte Abendmahlgruppe mit ihrem Chef diskutiert. Titelgetreu zugleich kostbar und köstlich fände sich in dieser Neudeutung das optimale Präsent zum anstehenden Papstbesuch.

Hajo Schiff

Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 11. August; ein Teil des Verkaufserlöses geht an UNICEF; Postkartenkassette 28 Mark.

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