Dokumentation: Verhängnisvolle Unterstellung
■ Tine Wischer an die Bürgerinitiative gegen das Drogenhilfehaus
Die geplante Einrichtung eines Drogen-Therapiezentrums am Schwachhauser Ring 110 hat einige Anwohner dazu animiert, eine Bürgerinitiative zu gründen (siehe taz 6.6.). Sie wollen verhindern, daß die Villen ihres Viertels „verstärkt als Unterkünfte für Ausländer und Drogenabhängige“ genutzt werden. Sozialsenatorin Tine Wischer hat den aufgeregten Nachbarn jetzt geschrieben:
Sehr geehrte Familie Cohrssen,
ich wende mich an Sie, weil Sie mir durch die öffentliche Berichterstattung als Sprecher einer „Bürgerinitiative Schwachhauser Ring“ bekannt geworden sind. Wie Sie der Berichterstattung in der Presse entnommen haben werden, hat sich auch mein Haus durchaus kritisch mit der Art und Weise auseinandergesetzt, wie die Drogenhilfe GmbH bei der geplanten Einrichtung von STEPS in dem Haus Schwachhauser Ring 110 vorgegangen ist. Wir haben der Drogenhilfe schriftlich mitgeteilt, daß wir mit dem gewählten Stil, den Beirat und die Nachbarschaft weitgehend zu umgehen, nicht einverstanden sind. (...)
Trotz dieser Differenz möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen, daß ich STEPS inhaltlich für ausgesprochen sinnvoll halte. Einem Flugblatt, das anläßlich der Gründung Ihrer Bürgerinitiative erstellt worden ist, entnehme ich, daß auch die „Schwachhauser Bürger ihren Beitrag zur Bekämpfung der Drogensucht zu leisten bereit sind“. Doch schon die Behauptung, daß in dem Haus Schwachhauser Ring 110 ein Drogenzentrum eingerichtet werden soll, läßt mich zweifeln. Denn STEPS ist natürlich kein Drogenzentrum.
Bei STEPS handelt es sich, wie Sie wissen, um eine Therapieeinrichtung, die insbesondere solche Klienten anspricht, die die feste Absicht haben, ihre Drogenprobleme zu überwinden. Diesen Menschen zu unterstellen, daß sie eine Gefährdung für die Nachbarschaft, (insbesondere für Kinder, die an einer Gehör-und Sprachbehindertenschule unterrichtet werden) sind, halte ich schlicht für eine verhängnisvolle Unterstellung.
Auch die Behauptung, daß hier „Sozialpolitik um jeden Preis“ betrieben werde, weise ich zurück. Selbstverständlich kosten Therapieangebote Geld. Der Tagespflegesatz von 170 Mark für eine therapeutische Einrichtung liegt im Durchschnitt. In diesem Satz sind die Kosten für qualifiziertes therapeutisches Personal sowie Verwaltung und Sachkosten incl. Mieten enthalten.
Der Sinn der therapeutischen Maßnahmen besteht in der „Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit“ und der gesundheitlichen und psycho-sozialen Stabilisierung von ehemals Drogenabhängigen. Diese Pflegesätze werden nach den Richtlinien des Verbandes der Rentenversicherungsträger (VDR) ausgehandelt mit der Landesversicherungsanstalt, hier der LVA Oldenburg-Bremen. (...) Das Besondere an der Einrichtung von STEPS liegt darin, daß hier die frühzeitige Wiedereingliederung in Arbeit und Beschäftigung wesentliches Anliegen darstellt. (...) Zudem wird die Platzzahl 18 nicht überschritten. (...)
Bestürzt hat mich Ihre Aussage: „Es gilt der sich abzeichnenden Entwicklung entgegenzuwirken, die Villen unseres Viertels verstärkt als Unterkünfte für Ausländer und Drogenabhängige zu nutzen.“ Mit meiner Auffassung von Demokratie ist es jedenfalls nicht vereinbar, wenn Bewohner bestimmter Wohngebiete andere Bevölkerungsgruppen zu unerwünschten Personen erklären.
Wie Sie wissen, gibt es Drogenprobleme in allen Stadtteilen. Nicht zuletzt deshalb setzt Bremen in der Drogenpolitik auf eine Dezentralisierung der Hilfsangebote. Hier sind wir in den vergangenen Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Dabei hat es bei der Einrichtung solcher Beratungsstellen und anderer Hilfsangebote häufig Konflikte mit der Nachbarschaft gegeben. Wie Ihnen bekannt sein müßte, hat es solche Probleme mit STEPS am bisherigen Standort in Lesum nicht gegeben.(...)
Mit freundlichen Grüßen,
Christine Wischer, Senatorin für Frauen, Gesundheit, Soziales und Umweltschutz
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