Der Garant vaterländischer Werte

■ Seine markigen Sprüche kommen an bei seinen Anhängern, die eine "starke Hand" wollen: Alexander Lebed, mit knapp 15 Prozent dritter Sieger, könnte jetzt vom General zum Königsmacher aufsteigen

Daß ausgerechnet Alexander Lebed (46) als Drittstärkster abgeschnitten hat, ist die größte Überraschung bei dieser ersten Runde der russischen Präsidentschaftswahlen. Als Persönlichkeit verzeichnet er von allen Kandidaten sogar den größten Erfolg. Denn hinter Lebed steht weder eine straff organisierte Partei, wie etwa die Kommunistische Partei Rußlands (KPR) hinter Sjuganow, noch verfügt er über die finanziellen Mittel und die Kontrolle über die Massenmedien, wie sie Präsident Jelzins Team nutzen konnte. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das russische Volk den Weg ins 21. Jahrhundert einschlägt oder zurück ins 19. verschlagen wird. Zünglein an der Waage könnte Alexander Lebed sein.

In den letzten Monaten mußten Beobachter des öfteren geradezu nach Luft schnappen angesichts der Schnelligkeit, mit der dieser Politiker sein Image wandelte. Noch im letzten Dezember schien es, als sei der politische Start des militärischen Aussteigers nur eine Notlandung. Die nationalpatriotische Koalition, die er unter dem Namen „Kongreß der Russischen Gemeinden“ mit dem farblosen Juri Skokow geschlossen hatte, schnitt bei den Parlamentswahlen kläglich ab; sie scheiterte an der Fünfprozenthürde. Für den hochdekorierten Kommandeur der russischen Friedenstruppe in Moldawien reichte es gerade noch zu einem Duma-Sitz.

Angesichts der für ihn ungewohnten Sprache hielt sich der General dort gehemmt zurück, er steckte in seiner Zivilkluft wie in einer Zwangsjacke. Das Gesicht dieses Mannes, der immer versprochen hat, drakonisch mit dem organisierten Verbrechen im Lande aufzuräumen, sah selbst aus wie ein lebendig gewordenes Fahndungsfoto. Lebeds Andeutungen, ein Regime à la Pinochet bekäme Rußland gewiß ganz gut, verhießen in Kombination mit dieser Visage nur Unheil.

Dann zerfiel sein Wahlblock, und General Lebed entfaltete allein, als freier Radikaler, seine Wirkung in der russischen Gesellschaft. Er fand den Mut, mit seinem imponierenden Baß immer mehr zusammenhängende Sätze in die Welt hinauszubrummen. Das klang politisch zwar meist nicht sehr professionell, aber dafür menschlich. Er gefiel sich zunehmend in eleganten Anzügen. Sogar das Gesicht des einstigen Hobbyboxers blickte plötzlich geglättet von Mattscheibe und Wahlplakaten – wie nach einem kosmetischen Peeling. Zu allem Überfluß versteckte Alexander Lebed auch seinen Hund, seine Katze und seine Ehefrau nicht länger. Dabei stellte sich heraus, daß Inna Lebed, Mutter dreier Kinder, sich von allen Präsidentschaftskandidaten-Gattinnen am lockersten und lachlustigsten präsentierte.

Schon acht Tage vor den Wahlen hob Präsident Jelzin den General unter all seinen Konkurrenten besonders hervor und teilte dem Moderator des beliebten TV-Magazins „Itogi“, Jewgenij Kisseljow, nach einem Interview mit, er wünsche dringend, mit Lebed Kontakt aufzunehmen.

Zufällig hatte Jelzin in dem vorausgegangenen Fernsehgespräch erstmals verlauten lassen, daß er als Wahlsieger wesentliche Posten in der Regierung neu besetzen werde. In der weisen Voraussicht, daß Zar Boris bei einer erneuten Thronbesteigung nicht ohne Königsmacher auskommen würde, hatte der Journalist Kisseljow diese Rolle offenbar schon längst dem General zugedacht. Gleich dreimal gab er in seinen Sendungen dem rauhbeinigen Haudegen Gelegenheit, die zarteren und demokratischeren Seiten seiner Seele zu offenbaren. Da erzählte der aus der südrussischen Stadt Nowotscherkassk gebürtige Lebed, wie er als Junge 1962 entsetzt von einem Baum aus die später als „Massaker von Nowotscherkassk“ bekannt gewordene Erschießung demonstrierender Arbeiter durch die Staatsmacht mit ansehen mußte, die angeblich doch stets in deren Namen handelte. „Schon damals“, so Lebed, „habe ich für mich daraus die Lehre gezogen, daß eine Armee niemals auf die eigenen Bürger schießen darf. Ihr Platz ist an den Landesgrenzen, mit dem Rücken zum eigenen Volk.“

Angesprochen auf ein mögliches Koalitionsangebot von seiten der KPR, knurrte der General: „Ich hab' genug von denen. In siebzig Jahren haben sie Millionen unserer Bürger umgebracht. Jetzt hat sich's ausgetobt!“ Auch historisch ist eher der Boden für eine Koalition Lebeds mit Jelzin vorbereitet. Während des August-Putsches im Jahre 1991 war Alexander Lebed der erste General, der sich mit seinen Panzern gegen die orthodoxen KPdSU-Putschisten schützend vor das Moskauer Weiße Haus stellte.

Mehrmals hat Alexander Lebed auch verlauten lassen, daß er mit einem der sogenannten „Machtministerien“ glücklich werden könnte, zum Beispiel als Innenminister. Ob ihm Jelzin dieses Amt anbietet, wie er ihm gestern das Verteidigungsministerium in Aussicht gestellt hat, hängt auch von den Analysen der Lebed-Wählerschaft ab, die dem Präsidenten zugänglich gemacht werden. Viele Anhänger des Generals sehen in ihm nach wie vor die bessere Garantie für die auch von den Kommunisten propagierten vaterländischen Werte, dazu die „starke Hand“. Es ist zu befürchten, daß sie weniger flexibel sind als Lebed selbst. Barbara Kerneck, Moskau