: Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar
... darf – bitte schön – schwul sein. Wenn's denn sein muß. Aber muß er ständig darüber reden? US-Präsident Bill Clinton hatte schon den richtigen Riecher, als er die Parole ausgab „Don't ask, don't tell“, um mit diesem Stillhalteabkommen Amerikas Lesben und Schwule nicht aus der Armee zu vergraulen.
Das ist sicherlich einer Leserin dieser Zeitung aus dem Herzen gesprochen. Unlängst beschwerte sie sich in einem Brief über die „nervige Schwulenpolemik“ dieser Kolumne, der es völlig an „Esprit, Lässigkeit und sprachlicher Eleganz“ fehle.
Aber das war es nicht alleine. Vor allem dieses „protzige Ich-bin-stolz-ein-Schwuler-zu sein-Geräusch“ gefällt ihr nicht, obwohl sie durchaus zu Toleranz neigt: „Es muß sich niemand schämen, schwul zu sein.“ Na, da sage ich doch ein herzliches Dankeschön und komme gleich zur zentralen Frage dieses LeserInnenbriefs: „Aber ist es deswegen notwendig, diese Tatsache vor sich herzutragen?“ – „Aber natürlich, meine Liebe“, würde meine FreundIn Frl. Steffi darauf antworten: „Das Leben ist so grausam, gönnen wir uns doch diese kleine Freude!“
Ich bin sicher, daß die Leserbriefschreiberin diese Antwort meiner FreundIn Frl. Steffi nicht versteht, deshalb fange ich am besten noch einmal ganz von vorne an. Also: Das Leben des Homosexuellen ist ein einziges Jammertal, er wird verspottet und verlacht allüberall. Am Bankschalter bekommt er schlicht Geld, kein Schwulengeld; beim Konditor bietet man im Plunder an und keine Blätterteigteilchen; und an der Tankstelle wird sein Wagen vollgepumpt mit Normal-Benzin, bleifrei. Normal! Und ganz ohne Duftstoffe! Das ist grausam. Der Homosexuelle lebt im Feindesland.
Derart geächtet und tief gekränkt in seiner abartigen kleinen Seele, sinnt er auf Rache, will Genugtuung, wird zum Tier. „Ich bin schwul“, sagt er plötzlich, ganz ohne Esprit und sprachlich überhaupt nicht brillant, und er hört nicht mehr auf damit.
Erzählt es jedem, den Freunden, den Kollegen, dem Mann auf der Straße, selbst die Mutter bleibt nicht verschont. Alle konfrontiert er mit dieser bitteren Wahrheit, einzig weil er es satt hat, Normal- Benzin zu tanken. Und weil er die Schnauze gestrichen voll hat von dieser Welt voller Hetero-Geräusche. Da muß mal ein Punkt gemacht, eine Duftmarke gesetzt, ein kleines „Huuuch!“ geflötet werden. Die Zeit muß sein. Und schau'n Sie mal, wenn wir den Spieß einfach umdrehen würden, kämen wir aus dem Leserbriefschreiben gar nicht mehr heraus. Denn Sie schämen sich ganz gewiß nicht, heterosexuell zu sein, und Ihr Reden darüber ist einfach ohne Ende.
Das soll fürs erste reichen, liebe LeserIn. Wenn nicht, dann kann ich Sie mit Bill Clinton trösten, der ist mit dem, was er für seine Toleranz hält, auch noch nicht viel weiter. Denn auf die Nachfrage, wie er das denn meint mit diesem „Don't ask, don't tell“-Kompromiß, antwortete der Präsident einer landesweit übertragenen Fernsehsendung: „Die meisten Amerikaner sind der Meinung, daß man in der Armee dienen darf, wenn man nicht fragt und nichts sagt und niemanden zwingt, sich damit auseinanderzusetzen.“ Aber ich bitte Sie, liebe LeserIn, wer will schon zum Militär?
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