: Kluivert rettet Hiddink
Trotz eines 1:4 gegen England schnappten die Niederlande den armen Schotten den Viertelfinalplatz weg ■ Von Matti Lieske
Das ganze Unglück begann mit Kenneth Mac Alpin. Hätte dieser im Jahre 843 geahnt, welche Folgen seine Handlungen haben würden, er hätte wohl tunlichst darauf verzichtet, das Reich der Pikten zu erobern, dieses dem der Skoten anzugliedern und damit jenes Land zu schaffen, das mehr als tausend Jahre später unter dem Namen Schottland traurige Fußballgeschichte schreiben sollte.
Fünfmal durften die schottischen Fans beim Match gegen die Schweiz in Birmingham jubeln, dabei leider nur einmal über ein Tor ihres Teams. Ally McCoist erzielte dies in der 36. Minute. Die restlichen Begeisterungsstürme galten pikanterweise den Engländern, die sich in Wembley gegen die Niederlande nicht nur in überzeugender Manier den Gruppensieg holten und nun am selben Ort im Viertelfinale auf Spanien treffen, sondern auch ihren eher unliebsamen nördlichen Nachbarn fast den Weg in die nächste Runde bahnten.
Vier Tore zauberten die Briten den verwirrten Holländern ins Netz, eines schöner als das andere. Vor allem das Mittelfeld mit Ince, McManaman und einem Gascoigne, der plötzlich leicht wie eine Feder schien, kombinierte so flüssig, wie es englische Mannschaften seit Bobby Charltons Zeiten nicht mehr getan hatten, und die Stürmer Shearer und Sheringham zeigten dem überforderten Bergkamp auf der anderen Seite, wie Toreschießen geht.
Aufgepaßt hatte nur Patrick Kluivert. Als die Niederländer beim Stande von 0:4 eigentlich schon draußen waren, wurde der 19jährige in der 72. Minute eingewechselt und schoß vier Minuten später prompt jenes Tor, welches die Niederländer ins Viertelfinale brachte. Kluiverts Torjubel bestand zunächst einmal in einer aggressiven Geste gegenüber Trainer Guus Hiddink, der ihn meist auf der Bank schmoren läßt, obwohl er ihm schon letzten Dezember im Relegationsspiel gegen Irland mit zwei Toren seinen Job gerettet hatte. Parallelen zu 1988, als die Niederländer auch nur ganz knapp – durch ein Abseitstor gegen Irland wenige Minuten vor Schluß – die Vorrunde überstanden und sich der zunächst verschmähte Marco van Basten zum großen Star des späteren Europameisters aufschwang.
Eine ähnliche Entwicklung scheint diesmal zumindest nach den im England-Spiel gezeigten Leistungen unwahrscheinlich. Der Rauswurf von Edgar Davids hat nicht nur für schlechte Stimmung bei den Niederländern gesorgt, sondern auch ihrem Mittelfeldspiel jegliche Kreativität geraubt. Die Abwehr um Danny Blind wirkte zum Teil unbeholfen, und im Angriff schien oft nur Jordi Cruyff zu existieren, dem aber leider vollständig die Effektivität seines Vaters fehlt. Sollten die Niederlande das Viertelfinale gegen Frankreich überstehen, wäre dies ein veritables Fußballwunder.
Nach Kluiverts Treffer war es an den Schotten, ihr Schicksal endlich selbst in die Hand zu nehmen, denn in Wembley dachte nicht einmal mehr der für die Glasgow Rangers spielende Gascoigne an weitere Hilfeleistungen. Doch die Nordmannen blieben sich treu. Trotz einer Vielzahl von Torchancen gegen die schwache Schweiz brachten sie den Ball nicht am Keeper Pascolo vorbei und schieden zum neunten Mal in der Vorrunde eines großen Turnieres aus – 100 Prozent Mißerfolgsquote. Besonders kurios, daß ausgerechnet die Schotten einen Protest gegen das „Golden Goal“ einreichen wollen. Mit dieser Regel, soviel dürfte sicher sein, werden sie nie etwas zu tun bekommen.
Niederlande: van der Sar - Reiziger, Blind, Seedorf, Bogarde - Winter, Ronald de Boer (72. Cocu), Witschge (46. de Kock) - Jordi, Bergkamp, Hoekstra (72. Kluivert)
England: Seaman - Gary Neville, Adams, Southgate, Pearce - McManaman, Ince (68. Platt), Gascoigne, Anderton - Shearer (76. Barmby), Sheringham (76. Fowler)
Zuschauer: 76.000; Tore: 0:1 Shearer (23./Elfmeter), 0:2 Sheringham (51.), 0:3 Shearer (57.), 0:4 Sheringham (62.), 1:4 Kluivert (76.)
Schottland - Schweiz 1:0
Schottland: Goram - Calderwood, Hendry, Boyd - Burley, Collins, McAllister, Thomas McKinlay (60. Booth), McCall - McCoist (84. Spencer), Durie
Schweiz: Pascolo - Hottiger, Vega, Henchoz, Quentin (81. Comisetti) - Vogel, Sforza, Koller (46. Fournier) - Türkyilmaz, Bonvin, Chapuisat (46. Wicky)
Zuschauer: 35.000; Tor: 1:0 McCoist (36.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen