: Verschollene Poesie
■ Ein Idyll wird ausgebuddelt: Der Landschaftsgarten Westerpark soll auferstehen Von Vera Stadie
Berge von Müll, verrostete Gewehre und Granaten und 105.000 Kubikmeter Erde mußten abgetragen werden, dann trat das Bachbett der Kleinen Flottbek wieder zutage, und im Quellental sprudelten wieder Quellen. Knapp viereinhalb Millionen Mark ist der Umweltbehörde die „wichtigste gartendenkmalpflegerische Maßnahme Hamburgs“ wert, mit der auf 15 Hektar der historische Westerpark wieder hergestellt wird.
Vor 200 Jahren hatte der Hamburger Kaufmann Caspar Voght in Klein Flottbek, damals noch vor den Toren der Städte Hamburg und Altona, insgesamt 225 Hektar Wiesen, Äcker und Weiden erworben und dort ein Mustergut und einen „der Natur abgelauschten“ Landschaftsgarten angelegt. So entstanden Norderpark (heute botanischer Garten), Osterpark (heute überwiegend Golfplatz), Süderpark (heute Jenischpark) und Westerpark. Der war im nördlichen, höher gelegenen Teil durch Wiesenhänge, im südlichen, tieferliegenden Bereich durch das Tal der Kleinen Flottbek und zahlreiche natürliche Quellen geprägt. Eine Idylle, die, wie Voght fand, „zum Genuß der Einsamkeit einlud“.
Damit hatte es ab dem Zweiten Weltkrieg ein Ende. Der heutige Flottbeker Wanderweg diente als Panzergraben, und 1967 schüttete die Familie von Ehren, die seit über hundert Jahren Teile des Westerparks als Baumschule genutzt hatte, das sumpfige Tal zu, um weitere Nutzfläche zu schaffen. Die Quellen versiegten, und der Bach verschwand unter Gullis.
Als die Baumschule 1992 von Nienstedten wegzog, entbrannte um das Gelände ein zähes Ringen. Investoren standen in den Startlöchern, um dort Wohnungen in bester und teuerster Lage zu errichten. Die Umweltbehörde und die Bürgerintiative „Erhaltet Flottbek“ kämpften für die Wiederherstellung des ehemaligen Landschaftsgartens. Schließlich vermachte der heutige Eigentümer, Baron Jenisch, das Gelände für die kommenden dreißig Jahre der Stadt.
In detektivischer Kleinarbeit machte sich die Landschaftsarchitektin Martina Nath-Esser von der Umweltbehörde auf die Suche nach dem verschütteten Park. Mit Methoden, wie sie sonst nur von Archäologen und bei der Erkundung von Altlasten angewandt werden, und durch Befragung von Zeitzeugen rekonstruierte sie den Urzustand des Geländes. Die Ausgrabungen konnten beginnen. Inzwischen sind das Bachbett der Kleinen Flottbek, die sanften Erhebungen und sumpfigen Senken im Tal freigelegt, und es sprudeln schon wieder sieben der ehemals 14 natürlichen Hangquellen. „Wir haben uns im Winter gewundert, warum sie nicht zufrieren“, berichtet Nath-Esser. Kein Wunder: Das Flottbeker Quellwasser wird nie kälter als 10 Grad.
Ab dem kommenden Sommer soll der Westerpark wieder die HamburgerInnen erfreuen, wie einst in den 20er Jahren, als Krögers Führer durch die Elbgegend schwärmt: „Eine malerische Landschaft, die sich hier öffnet, ein träumerisch poetischer Winkel mit seinen klaren Wassern, murmelnden Quellen, verschwiegenen Pfaden, heimlichen Verstecken.“
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